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INTENSIVSTATION Kolumne in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Neue Seite
Berliner Seiten |
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.06.2000, Nr. 144, S. BS3 |
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Intensivstation
6. Erster Befund nach Wien: Wir sahen einen 39 Jahre alten Patienten mit einer
Körpergröße von 184 Zentimetern und einem Körpergewicht von 81 Kilogramm in gutem
Allgemein- und Ernährungszustand. Der Patient ist uneingeschränkt zu Ort, Zeit und
Person voll orientiert. Es bestehen keine Hinweise auf zentrale und periphere Zyanose,
keine Anämie, kein Ikterus und keine Ödeme. Lymphknoten nicht vergrößert. Motilität
der Augen in allen Ebenen frei, Pupillen isokor, Lichtreaktion beidseits direkt und
konsensuell prompt, unauffällige Konvergenzreaktion. Enoral reizlos. Schilddrüse nicht
vergrößert, palpabel. Peripherer Pulsstatus regelrecht und ohne pathologische
Strömungsgeräusche, Puls 63/Min., rhythmisch, Blutdruck 128/80 mm Hg bds. Keine
Jugularvenenstauung. Unauffällige Untersuchung des Thorax. Herzspitzenstoß orthop. cor:
Herzfrequenz rhythmisch, rein, kein Perikardreiben. Pulmo: sonorer Klopfschall, gute
Atemverschieblichkeit, vesiculäres Atemgeräusch, kein Pleurareiben, Gallenblasenlager
und Nierenlager frei. Unauffälliger Untersuchungsbefund der Wirbelsäule und der
Extremitäten. Die grob orientierende neurologische Untersuchung zeigte einen
unauffälligen Befund. Sinusrhythmus, HF 63/Min., Normallagetyp. PQ 166 ms, QT 374 ms, QTC
379 ms, QRS 78 ms. Keine Erregungsrückbildungsstörungen, keine Q- Zacken. Normalbefund.
Wanddicken: IV-Septum: 9 mm (6-11 mm), LV- Hinterwand: 8 mm (6-11 mm), Dimensionen: LV-EDD
49 mm (35-55 mm), LV-ESD 30 mm (25-40 mm), RV normal groß (bis 30 mm), LA max. D 33 mm
(19-40 mm), Aortenwurzel 28 mm (20-37 mm), fraktionelle Verkürzungen (FS) 0,39 (0,25 und
mehr ...), Beurteilung: echokardiographischer Normalbefund, kein Perikarderguss.
R.-Thorax: normal großes Herz, keine Zeichen von pulmonalvenöser Stauung, keine Hinweise
für konflurierende Infiltrate, kein Erguss (?), altersentsprechender Normalbefund.
Empfohlenes weiteres Vorgehen: Wir empfehlen nach der Wien-Aktion ein weiteres
diagnostisches oder therapeutisches Vorgehen bei noch ausstehenden serologischen
Untersuchungen. Die meisten Krankheiten entstehen längst nicht mehr durch Infektion, die
typischen Krankheiten der Gegenwart sind Autoimmunkrankheiten: Unterbeschäftigte
Immunsysteme zetteln Bürgerkriege im Organismus an. Die gute alte Freund-Feind-
Unterscheidung, die den Organismus funktionieren ließ, ist verwirrt. Die Österreicher
und die Deutschen haben keine kriegerischen Feindschaften mehr, sie haben
Autoimmunprobleme. Sollten weitere Untersuchungen ergeben, dass der Patient im äußersten
emotionalen Chaos einen Augenblick von Glück erlebt habe, so klingt das für uns, als
hätte er die Strategien eines Zen-Meisters auf die österreichischen Verhältnisse
adaptiert. Weitere Untersuchungen und Querbezüge nächste Woche.
CHRISTOPH SCHLINGENSIEF
Alle Rechte vorbehalten. (c) F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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