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INTENSIVSTATION
Kolumne in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung


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Berliner Seiten Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.08.2001, Nr. 192, S. BS6


Intensivstation

39. "Ich besitze mehr Fragen gegen mich selber, als Ihnen jemals einfallen werden." So oder so ähnlich formulierte Martin Walser den klügsten Satz der Woche, der überraschenderweise im "Spiegel" landete. Walser antwortete einem jener Journalisten, wie sie im "Spiegel" seit dessen Auflagenrückgang immer öfter zu finden sind. Menschen, die sich intellektuell fühlen, aber leider kaum noch Mut zur eigenen These haben. Ein typisch deutsches Problem. Man stellt Zweifel simulierende Fragen und glaubt somit einen gesellschaftlichen Auftrag zu erfüllen. Ich frage, also bin ich! Wer fragt, braucht keine Antwort! Fragen reicht schon! "Dreht Schumacher durch?", "Was will der Kanzler jetzt noch im Osten?", "Warum ist es so heiß?" Fragen ohne Antwort, aber mit einer darin verborgenen Behauptung! "Schumacher nervt!", "Der Osten ist verloren!", "Klimakollaps - In 500 Millionen Jahren ist die Erde am Ende!" Hier wird Frage mit Antwort gleichgesetzt. Darum sinken auch die Auflagenzahlen des "Spiegel". Er befragt nicht sein Gegenüber, sondern nur noch sich selbst. Quasi als Selbstbestätigung. Früher hat er noch gefragt und war erst dann zynisch. Heute genügt ihm Zynismus als Antwort. Kein Wunder, wenn man sich "als führendes Nachrichtenmagazin" seit über 50 Jahren damit beschäftigen muß, daß sich die Deutschen einem Obdachlosen aus Österreich angeschlossen haben, um in seinem Auftrag Millionen von Menschen zu vernichten. Dann schon lieber "Focus", der nur noch Fakten will und wie ein D-Zug gegen die Schultafel rast.

Ich glaube Deutschland benötigt keinen dritten Weltkrieg, sondern lediglich ein Magazin, das aus drei Teilen besteht. Der erste Teil besteht aus unverschämten Behauptungen. Im zweiten Teil stellen sich die behauptenden Autoren selber in Frage. Und im dritten Teil geschichtliche Lügen wie z. B.: "Den Holocaust hat es nie gegeben." "Deutschland ist und war schon immer ein Einwanderungsland." "Hitler lebt!" Alles sehr ernsthaft betrieben. Ungefähr so wie Joachim Kaiser über Beethovens 9. Symphonie unter dem Stab von Thielemann in der "SZ" geschrieben hat. Einfach klug, wissend und überzeugend! Kaiser lehnt sich weit aus dem Fenster und stellt sich somit selbst in Frage! Genauso wie es Walser immer getan hat! HUT AB VOR WALSER! Er macht vor, was kaum noch einer hinbekommt. Walser befragt sich selber. Er fragt sich, ob er recht hat. Das nennt man Selbstzweifel. Und für den ist es im Gegensatz zu vielen Fragen nie zu spät!

CHRISTOPH SCHLINGENSIEF


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