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INTENSIVSTATION Kolumne in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Neue Seite
Berliner Seiten |
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.05.2000, Nr. 121, S. BS3 |
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Intensivstation
3. Nicht umsonst investieren Kliniken und Theater auf der ganzen Welt Millionenbeträge in
Desinfektionsmittel, weil sie wissen, wie gerne sich der Mensch auf unterschiedlichste Art
und Weise ausbreitet und verewigt. "Die Angst vor Salmonellen nimmt zu",
erzählt mir ein Mitarbeiter der Klinikküche, die das Essen kocht im Auftrag von Dussmann
- der mit dem Bücherkaufhaus und mein geheimer Favorit für den Kultursenator. Doch nun,
nach den ersten Mahlzeiten, ist klar, dass das ein fataler Irrtum war. Gerade die, die
hilflos und ermattet auf die nächste Blutabnahme warten, haben ein Recht auf stärkende,
weil schmeckende Nahrung. Ein Literatur-"Gourmet" sollte auch etwas von
Getränken und passenden Menüs verstehen. Möhrchen in Scheiben, dazu Heringssalat
geschnetzelt, eine Scheibe Graubrot, darunter eine geschmacksneutrale Käsescheibe und zu
allem Kombinationswahnsinn noch eine Schnabeltasse mit Grießmehlbrei, fehlt nur noch ein
Campinobonbon mit viel Vitamin C. Dussmann steht ab sofort unter Quarantäne, und jeder
Patient, der lesen kann, sollte das Essen so lange reklamieren, bis Dussmann einlenkt oder
jedem Patienten zumindest pro Tag ein Buch zum Essen dazulegt. Nur zur Versöhnung.
Dussmann, wir kommen, und die Magenspiegelung demnächst.
PS: 90 Prozent aller Artikel in deutschen Tageszeitungen bestehen übrigens aus
Bildbeschreibungen und persönlichen Befindlichkeitsschilderungen. Aber das nur nebenbei.
CHRISTOPH SCHLINGENSIEF
Alle Rechte vorbehalten. (c) F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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