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INTENSIVSTATION
Kolumne in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung


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Berliner Seiten Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.05.2001, Nr. 103, S. BS3


Intensivstation

34. Bald ist es soweit. Die Neuen Nazis kommen am 5. Mai. Am 1. Mai wäre das nicht möglich gewesen. Das ist der Tag, an dem die Schweizer Politik vorführt, daß sie die Autonomen noch immer nicht im Griff hat. Der schwarze Block hat dazu aufgerufen, das Schauspielhaus zu stürmen, weil dort in den Eigentumswohnungen zu viele Millionäre wohnen. Auch neben meiner Wohnung lebt eine Millionärin. Sie ist sehr füllig, hängt stundenlang über ihrer Brüstung und glotzt in mein Zimmer. Sie hätte alles gelesen, sagt sie, und wäre auch der Meinung, daß ich außer Landes geschafft werden müsse. Die Schweiz sei die Schweiz sei die Schweiz sei die Schweiz. Dann nicke ich immer und versuche ihr den Unterschied zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz zu erklären. Die Deutschen sind beschmutzt und setzen Geld nur noch zum Weißwaschen ein, die Österreicher sind glücklich und sehen keinen direkten Zusammenhang zwischen Ansehen und Geld, und die Schweizer glauben, sie könnten grundsätzlich alles durch Geld regeln. Das reicht dann meist, und sie verläßt ihren Hochsitz für dreißig Minuten. Wahrscheinlich ziehe ich auch ins Ibis-Hotel gegenüber. So wie Irm Hermann, die Darstellerin der Königin im Hamlet, die keine Lust hat, wegen irgendwelcher Millionäre verletzt zu werden. Artur Laertes Albrecht hat seinen mitangereisten Kindern den Satz beigebracht: "Resozialisiert keine Nazis, resozialisiert das System." Und die Aufkleber mit der Forderung: "SVP verbieten!" werden fleißig beseitigt. Vor ein paar Tagen wurde ein Plakatkleber in der Innenstadt beim Aufhängen eines "Naziline"-Plakats mit einer Gaspistole niedergeschossen. Ich zitiere aus einigen Zuschriften: "Sie fordern den Tod von Adolf Hitler. Das zeigt nur, wie dumm Sie sind. Hitler ist bereits tot!" Oder "Heil, Herr Schlingensief oder besser Heil Schlingensief! Mit mir können Sie rechnen." (Hans Meier, Badenerstraße, Zürich). Oder: "Wenn Ihr nicht verschwindet, dann machen wir bumbum." Dann macht ihr eben bumbum . . . Immer noch besser als dem Resozialisierungsprojekt der Bundesregierung zu applaudieren.

Der ORB wollte zum Beispiel eine Dokumentation drehen. Aber unter der Bedingung, daß nur Brandenburger Neonazis mitmachen. Und die Bundeszentrale für politische Bildung hetzt der "Naziline" den Anwalt auf die Pelle.

Ich möchte an dieser Stelle ganz klar feststellen - und mittlerweile sind, wie ich aus erster Hand weiß, Artikel auf den Berliner Seiten als Beweismittel vor Gericht zugelassen - mein Hamlet besteht aus 3 Einzelteilen und aus einem leicht verständlichen Überbau: Die Nazis von gestern sind nicht mehr die Nazis von heute. Regieanweisung: "Spielen bis es Göring gefällt!" Teil 1: Bei allen Aktionen in Zürich, bei Interviews oder sonst wo, spiele ich selber den Hamlet. Freude durch Zögern, weil man dann im Gegensatz zu Otto Schily nicht an den Verfassungsschutz glaubt. Neonazis mit Schmiergeld zu locken, ihnen einen Bart anzukleben und sie mit neuer Telefonnummer in Sindelfingen zu verstecken, ist so bescheuert wie Pädagogenkitsch.

Teil 2: Die Bühnenversion untersucht Gründgens, klopft an beim Dritten Reich, und natürlich kann ich nicht ausschließen, daß ich in jenen Zeiten ein gutes Theater von schlechten Menschen übernommen hätte. Und trotzdem hätte ich mich in Hannah Arendt verliebt und die Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft untersucht; denn wer A sagt, muß nicht B sagen, auch wenn Hannah das so gerne behauptet hat. Die Liebe zu Heidegger war zu groß, um nicht bei A zu bleiben. Darum mußte B herhalten.

Teil 3: Das Theatertreffen. Jetzt auch mit Politclown! - Nehmt Euch also alle an den Händen und umarmt Euch. Ihr seid wirklich gut! Und das wißt ihr. Ihr wißt, wann Resozialisierung anfängt, wann sie aufhört, wieso alles so oder auch so nicht funktionieren kann. Gute Nacht Freunde. Ab 5. Mai: DIE NAZIS KOMMEN! Der Rest ist immer schweigen.

CHRISTOPH SCHLINGENSIEF


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