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INTENSIVSTATION
Kolumne in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung


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Berliner Seiten Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.01.2001, Nr. 17, S. BS4

Intensivstation

28. Man stelle sich vor, daß Peymann in Paris beim größten anzunehmenden Intendanten anruft und ihn fragt, ob Castorfs Dämonen ausverkauft ist. Ja, wie blöd muß man sein oder wie richtig ist es, nicht den Pförtner, sondern gleich den größten ernst zu nehmenden Ernstfall anzurufen und mit rotem Kopf die guten Nachrichten entgegenzunehmen: Castorf ist ausverkauft! Das Goethe-Institut funktioniert. Frau Emmenschläger vom Pariser Goetheinstitut ist begeistert. Alle 120 Stühle sind mit Deutschen besetzt. Die Bühne ist kaum zu erkennen. Anstelle des Bungalows steht dort ein Pappkarton. Das ist abstrakt. Die Schauspieler sind begeistert. Was für ein Traum: Paris! Hier, wo Peter Brook diesen unglaublichen Hamlet inszeniert hat. Fast sprachlos und so multi-kulti. Hier, wo Jean Marie Straub jeden Schnitt begründen konnte, da, wo die Muscheln und Schnecken noch frischer sind als auf Sylt und de Sade die lustvolle Version des Existentialismus vorschlug. 20 Jahre kritisch- freundlicher Journalismus bei n-tv. Auch die junge Jungjournalistin ist da. Mit neuer Handynummer und ganz engagiert. Wie geschmiert läuft das Interview. Castorf charmant. Sundra freundlich, interessiert, keine Kärtchen, alles im Kopf. Selbst Rau war begeistert. Auch er arbeitet ohne Kärtchen. Freies Kanzelsprechen ohne Sinn und Komma. Zueinanderfinden durch Versöhnen ohne Stöhnen. Dieses Motto sitzt. Fast nur Deutsche da. Viele Sponsoren. Auch Homolka vom Kreis der Kulturbegeisterten der Deutschen Bank ist angereist. Auf dem Empfangsschildchen steht noch immer Seebacher-Brandt. Das war ein Fehler. Frau Emmenschläger bittet um Entschuldigung, aber die Zeitungen kommen immer erst ein paar Wochen später. Das will Hilmar Hoffmann so. Da hat er endlich einen Vorsprung. Der, der alle Goethe-Institute bis zur Schließung verteidigt hat. Das macht ihm Spaß. Alte Tradition. Hat er schon 1969 gemacht, als Helmut Costard "Besonders wertvoll" auf den Kurzfilmtagen zeigte und dafür vor einem halben Jahr an Leukämie verstorben ist.

Homolka nimmt es mit Humor. Die Taschen voller Geld. Zinserträge von Kleinanlegern. Wenn die wüßten, was der vorher so getrieben hat. Greenpeace hatte große Probleme, weil er so schwer auf einen Schornstein hochzuziehen ist. Auch wenn er Schornsteine liebt. Er weiß schon, was ich meine, aber viel Geld in den Taschen. Und eine Heckenschere, um die an den Haaren hängenden Gesponserten bei bester Gelegenheit einfach abzuschneiden. Wenn da nicht Frau Vollmer wäre. Sie hält die Hände sacht und weich. Alles Internas. Bitte nicht veröffentlichen! Wir können keine Indiskretionen vertragen. Das muß man schon selber machen. Ran an die Presse. Fotos raus vom Prügeln und Schlagen. Und dann die ganzen zerknitterten Gesichter in Reihe eins: Merkel neben Westerwelle neben Merz neben Funke neben Fischer (ehemaliger Außenminister, jetzt Jugendbeauftragter der CDU). Politik ist so häßlich geworden. Ich bitte um Verzeihung, aber das mußte endlich mal heraus. Das Gastspiel in Paris war ein sensationeller Erfolg. Selbst der Pförtner war angereist und natürlich Georg und ein sehr unsicherer Beleuchter. Opportune Gesellen. Mal hü, mal hott. Jedenfalls hat diesmal keiner unterschrieben. Das Stück konnte ohne Aussetzer starten. Ein älterer Herr, der Castorf noch aus deutsch-demokratisch-republikanischer Gefangenschaft kannte, stand nach einer Stunde auf und rief Vive la Castorf! Ein toller Moment, wenn man bedenkt, daß jeder Pariser in zwei Stunden am Alexanderplatz stehen könnte und zehn Minuten später an der Volksbühne. Nein, sie sollen zu uns kommen. Scheiß-Franzosen! Und Wuttke mußte gleich weiter nach Indien. Die 8000ste Vorstellung von Arturo Ui. Der ist nicht von Peymann, sondern noch aus der Zeit, als alles besser war. Mal sehen, ob Peymann da auch anruft. Wäre nicht schlecht, denn dann würden ihm die Inder sagen, daß ich demnächst das BE übernehme. Inder sind clever und ausgesprochen preiswert.

CHRISTOPH SCHLINGENSIEF


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