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INTENSIVSTATION Kolumne in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Neue Seite
Berliner Seiten |
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.08.2001, Nr. 182, S. BS3 |
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Intensivstation
38. In einer aktuellen Untersuchung der SAP wurde festgestellt, daß Entscheidungen, die
man in einem Flugzeug trifft, anders ausfallen als solche, die man am Boden trifft. Der
griechisch orthodoxe Mönch Pedros Geroulanos schwört darauf, Teufelsaustreibungen nur am
Ufer von Pathmos und nicht im 300 Meter hoch gelegenen Kloster von Hora durchzuführen.
Auch Johannes der Dritte hat im Jahre 95 in einer Höhle die Apokalypse geschrieben und
nicht in einem Heißluftballon. Je höher man also steigt, desto weltfremder fallen die
Entscheidungen aus. Der Teufel ist aber eher am Boden als im Himmel anzutreffen. Um aber
eine möglichst sinnvolle, der Menschheit verbundene Entscheidung treffen zu können, muß
man also dem Teufel entgegenkommen, um ihm dann wirklich entschieden eine Absage erteilen
zu können. Waren also die vielen Start-up-Comedys der New Economy teufelsfremd oder
selber welche? War Haffa der Teufel? Für viele Aktionäre ganz sicher. Aber auch hier
handelt es sich um eine völlig überholte Weltsicht. Noch immer starren wir nach oben,
wenn wir das Wort Entscheidung hören.Was wahrscheinlich daran liegt, daß wir als
Kleinkinder nach oben geschaut haben, wenn unsere Elten den Ton angaben. Auch ihre
Entscheidungen fielen für uns Kleinkinder weltfremd aus. Mutter und Vater hatten keine
Ahnung, wie die Dinge hier unten aussahen.Während unsere Eltern im Himmel der
Entscheidung schwebten, hatten wir direkten Kontakt zum Teufel. Aus heutiger Sicht fallen
Entscheidungen hinter uns und nicht mehr über uns. Wir werden geschoben und gedrückt.
Mal nach links, mal nach rechts. Die Hände der Loveparade- Besucher fuchteln beschwörend
nach oben, während hinter ihnen geschoben wird. Der Individualist verschwindet total
individuell in der Masse und wird geschoben, bis er wie die Schweine die Schlucht
hinunterstürzt. Das nennt man dann Meinungsfreiheit. Johannes nannte es die Apokalypse
und bezeichnet darin die direkte Gegenüberstellung mit dem Teufel. Haffa war
wahrscheinlich tatsächlich der Teufel und saß nicht in der Lok, sondern Champagner
saufend im Speisewagen, den man hinten angehängt hatte. Im Gegensatz zu Leo Kirch. Der
hat immer vorne gesessen, auch wenn er fast blind ist. Er meidet Augenkontakt mit dem
Teufel und entscheidet ausschließlich in seiner eigenen Höhle. Er ist wahrscheinlich der
einzige Großfürst unserer Zeit, der auch in großen Höhen in seiner Höhle bliebe. Er
unterscheidet nicht mehr zwischen Leben und Arbeit. Er ist einer der wenigen, die
Nida-Rümelin verstehen. Auch er kann ohne Schreibtisch denken und handeln. Eine
Eigenschaft, die die individuelle Masse nicht verstehen darf, weil sie im Glauben gehalten
wird, sie sei individuell. Deshalb fordert Kirch mit seiner Macht von 42 Prozent am
Springer-Konzern den Kopf von Rümelin, weil dieser sein Kulturressort in die Karibik
verlegt hat. Vielleicht weil Kirch neidisch ist, vielleicht aber auch, damit keiner
versteht, wie schön es ist, selber Entscheidungen zu treffen. Egal wo man ist. Hauptsache
Höhle.
CHRISTOPH SCHLINGENSIEF
Alle Rechte vorbehalten. (c) F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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