Parsifal auf Prater-Tour (FAZ)

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Das Burgtheater als begehbare Wurstelbude, in der es merkwürdig riecht: Schlingensiefs Wiener Aktion „Area 7“

MARTIN LHOTZKY

Man begibt sich am besten zuerst ganz nach oben, in die steilstufige Galerie des Wiener Burgtheaters, und schaut tief nach unten in den Publikumsraum, wo „Area 7“ aufgebaut ist, Christoph Schlingensiefs Matthäusexpedition, ein Gewirr von Menschen, Zeltbahnen, unidentifizierbaren, möglicherweise einst belebten Klumpen, und ein leinenbespanntes Riesenrad. Der Wiener Wurstelprater scheint auf einer Tournee Zwischenstation in der „Burg“ zu machen. Alles dreht sich, ein Ringelspiel rumpelt bedächtig rundum, sogar eine Geisterbahn scheint aufgebaut, zumindest erweckt ein Riesenkopf, aus dem Boden brechend, im stummen Schrei erstarrt, solche Assoziationen.

Ein anderer Kopf, mehr der Kategorie Wuschel als Geist zugehörig, an dem noch der Rest von Schlingensief dranhängt, taucht unübersehbar und zentral in die Masse ein und aus ihr wieder auf. Dort muß man hin, will man wenigstens ein bißchen was verstehen. Vor dem einzigen Saaleingang (alle anderen wurden vorsorglich für geschlossen erklärt) bildet sich eine Warteschlange. Jetzt und heute dürfen erst mal nur diejenigen rein, die zusammen mit der Eintrittskarte einen hellblauen oder rosa Papierschnipsel erhalten haben. Grün, Gelb, Weiß und Rot müssen sich gedulden. Am nächsten Tag wird die Reihenfolge wieder anders sein.

Schlingensief war schon öfter in Wien. 2003 hat er Elfriede Jelineks „Bambiland“ am Burgtheater dergestalt inszeniert, daß vom Stück kaum etwas, dafür in der allgemeinen Erinnerung die Filmeinblendung einer Masturbationsszene blieb. Seitdem liebt die Jelinek den Regisseur. Diesmal spendet sie ihm einen „Parsifal“Text, liest ihn auch gleich auf Video vor, projiziert aufs Riesenrad. Man sollte ihr übrigens davon abraten, denn nur die wenigsten Autoren sind in der Lage, Eigenes auch gut vorzutragen. Im Laufe des Abends verliert das Rad allerdings immer mehr seiner Bespannung, steht am Schluß fast nur mehr als Speichenrad da, womit auch die Projektionsfläche an ihr Ende gerät.

Noch früher war Schlingensief im Jahre 2000 bei den Wiener Festwochen zu Gast, wo er die Container-Aktion „Bitte liebt Österreich“ veranstaltete. In deren Verlauf wurden aus einem Metallkasten vor der Staatsoper Asylbewerber einer nach dem anderen rausgewählt, der letzte hätte die Chance auf eine Aufenthaltsbewilligung erhalten sollen, aber dann nicht gekriegt. Der lokale Boulevard wetterte dagegen, Schlingensief forderte den Rücktritt des Kulturstadtrates und verlangte: „Tötet Wolfgang Schüssel!“, verließ ganz schnell Wien. Und der Skandal war perfekt. Der Kulturstadtrat ist mittlerweile ein anderer, der Kanzler noch im Amt.

Schließlich hat man sich zum Herzstück von „Area 7“, Schlingensiefs sogenanntem „Animatographen“, durchgekämpft. Den gibt’s noch gar nicht. Den hat er sich nur ausgedacht! Hier hinter dem Riesenrad ist die Drehbühne ständig in Bewegung, man sieht Filmszenen auf Stoffbahnen, eine Art „Weltlichtspieltheater“, wie Schlingensief sagt. Die Idee zu all dem hatte er wohl schon bei seiner „Parsifal“-Inszenierung in Bayreuth. Zumindest der dort verwesende Hase, aus dessen Bauch irgendwann Millionen Maden hervorbrechen, ist auch hier allgegenwärtig.

Dazwischen war er in der namibischen Wüste und auf Island, ein Boot hat er auch mitgebracht. Überall machte er Filmaufnahmen, angeblich über 300 Stunden, von nachgestellten Ursprungsmythen der Edda, von Parsifal, von Pinguinen und Straußen, von Hasen und Joseph Beuys, von Meerkatzen, die ein Bureau umgestalten. Durch die Installation führen neben dem Meister noch Andy Warhol, Joseph Beuys, Hermann Nitsch und wer weiß wer noch. Hitler und Göring sitzen in einer Festloge als Gäste. Es ist viel los im Burgtheater.

Stolz weist Schlingensief auf sein Urklo hin, aus dem der Abfluß mit 300 000 Kilometern pro Sekunde vonstatten gehe. Und der Zuschauer darf entscheiden, ob er hier verscheißert wird. Jedenfalls riecht es merkwürdig. Aber das können auch nur vergammelte Fischreste in einem der Aquarien sein. Da gehört auch der Ton dazu, für alle Sinne soll etwas geboten werden. Themen aus „Parsifal“, Jelineks Lesung, allerhand andere Musik und Lautsprecheransagen verwandeln den Saal in einen kakophonischen Echoraum.

Das Burgtheater geht auch technisch so weit es gehen kann und frißt Schlingensief sozusagen aus der Hand. Er ist entzückt und will das Unternehmen erweitern, Brasilien und den Himalaja bereisen und bespielen. Auf der Feststiege singt derweil die großartige Patti Smith ihre Balladen. Auch sie ist Teil der Installation und legt zusammen mit ihr den Betrieb für sechs Tage lahm, wundert sich aber, daß das in Wien möglich ist, auf der imperialen Prunkstiege ein Konzert zu geben. In New York gehe das nicht, ist sie überzeugt.

Das Haus am Ring wird auch das überstehen, vielleicht sogar damit werben, wie jung und innovativ „wir in Wien“ doch sind. Wenn aber Prater-Stimmung als Innovation verkauft wird, und Menschen, die sonst nie ein Theater betreten würden, auch mal die hehren Hallen durchschreiten, mag das angehen. Für einige Zeit sollte jetzt aber auch wieder Schluß damit sein. Bleibt sowieso die Frage, was das alles soll.

Text: F.A.Z., 20.01.2006, Nr. 18 / Seite 37