Bedeutungsbohrer unter dem Jelinek-Mond (Der Standard)

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Theater nach dem Theater: „Area 7“ als Bühnenerzählungsbild

Von Ronald Pohl

Wien – Auch Schiffe, die mit empfindlicher Animatographenfracht an Bord in noch ungewohnte Bedeutungszonen aufbrechen, müssen gelegentlich ankern. Der landgestützte Blick, vom ersten Burgtheater-Rang auf Christoph Schlingensiefs Area 7 geworfen, erzählt von den Irrfahrten eines medusischen Kunstgewerbefloßes, aber eben auch über die glückliche Wiedergewinnung der Sesshaftigkeit.

Unter den Augen des Betrachters webt, sirrt und wabert auf Höhe der Parkett- und Parterresitzreihen eine Erlebnismasse, deren nomadischer Ursprung sich zuallererst in einem trunken machenden Geräuschpegel niederschlägt.

Sperrholzbaracken, deren Dächer beinahe entblößt sind, über deren Behelfsbaldachinen aber eine Wäschespinne ein kurioses Geflecht aus Drahtschnüren aufspannt – als würde eine Republik von Bedeutungsklempnern Nachrichten vom Sirius empfangen wollen! -, suggerieren die Wonnen des Zwischenhalts. Das Motto: „Wir sind noch einmal an Land gekommen!“

Nicht umsonst zitiert Schlingensief Textproben des Philosophen Hans Blumenberg: In Schiffbruch mit Zuschauer beschrieb dieser die fatale Ohnmacht des an das Ufer verbannten Voyeurs, der das Katastrophengeschehen auf See wie paralysiert beobachten, mit erleiden muss.

„Durch Mitleid wissend, der reine Tor“: Schlingensiefs Berufung auf den Parsifal-Mythos erzählt immer auch von der Ohnmacht vor den Verhältnissen und deren Überwindung. Mit Blick auf das rotierende Filmrad des Animatographen, auf dem Elfriede Jelineks bleiches Antlitz wie ein linder Mond über einem Termitenstaat aufgeht, erkennt man das „Areal“ von Area 7 als die letzte, ungemein anregende Apotheose der Bühnenverwandlung wieder: Das Treiben der Künstler in ihren Waben macht die Anonymität der global in ihren Elendsbezirken Schmachtenden noch einmal erzählbar.

Naturgemäß Deutsch

Es ist naturgemäß eine deutsche Geschichte. Es spricht für Schlingensief, dass er die Korrumpierung durch die Zentralperspektive, durch den Vektor eines angeblich sinnerfüllten Geschichtsverlaufs, in seine partikelwerfende Installation souverän einarbeitet. Adolf Hitler (Horst Gelonnek) erhebt sich in der Mitte-linksLoge und bellt irgendwelche „Heimatland“-Parolen in das sirrende Halbdunkel. Ein fetter Reichsstatthalter SS (Hermann Scheidleder) spendet wurstfingrig Applaus. Man könnte das Sperrholzlager, das diese Emanationen des Faschismus aufsaugt, als Maske lesen – so wie Syberberg die Wagner-Totenmaske als Filmlandschaft aufspannte, auf deren Zügen Parsifal die Kundry erlöst. Kein Wunder, dass Schlingensief, Zwischenmieter im Reich der Bedeutungen, bald wieder weiterzieht.