Heiliges Chaos im Hasenstall (Wiener Zeitung)

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Theater als Expedition durch Raum und Zeit: Christoph Schlingensiefs gastiert mit „Area 7“ am Burgtheater

Von Petra Rathmanner

Vielleicht hat die Rockpoetin Patti Smith ja Recht, wenn sie über „Area 7“ sagt: „Es geht dabei um heiliges Chaos.“ Auf jeden Fall hat Christoph Schlingensief mit diesem Spektakel aber ein wenig Anarchie ins Burgtheater gebracht.

Nichts ist an diesem Abend so, wie es im Theater üblicherweise ist: Die Aufführung hat weder Anfang noch Ende, die Zuschauer wandern vielmehr durch eine begehbare Landschaft. Auch ist es zu laut, aus Boxen dröhnt die ganze Zeit über bombastische Musik von Wagner, dazu quietschen E-Gitarren. Es ist aber auch zu dunkel, und es gibt zu viele Film bilder, weil auf praktisch jede freie Fläche Videoclips projiziert werden. Kurzum: Es gibt von allem zu viel, es herrscht die absolute Reizüberflutung, die totale Überforderung – und das ist gut so. Was an diesem Abend zählt, ist die Intensität des Augenblicks.

Im Trash-Paradies

Dafür hat Schlingensief und sein fast 50-köpfiges Team im Zuschauerraum eine begehbare Film- und Drehbühne aufgebaut, die er nach einer Erfindung des Fin de Siécle-Filmemachers Robert W. Paul Animatograph nennt.

Dieses Unikum sieht aus, als hätte der Künstler Jonathan Meese darauf eines seiner apokalyptischen Trash-Panoramen installiert, angefüllt mit Müll, Bildern und Objekten. Konstruiert wurde das Ding aber von Tobias Buser und Thekla von Mülheim.

Im Gedankenlabyrinth

Abseits von diesem Trumm können die Zuschauer eine Art Labyrinth betreten. Obwohl man sich darin nur etwa eine halbe Stunde aufhält, kommt es einem ob der Überfülle an Eindrücken weitaus länger vor.

Die Wände sind mit Graffitis bemalt, der verschlungene Weg führt über schmale Gänge in Räume, die wie Wunderkammern mit Fundstücken angefüllt sind, oder von Akteuren bevölkert werden – wie etwa der kleinwüchsigen Karin Witt, oder dem als Katze verkleideten Michael Gempart. Auch der Boden unter den Füßen verändert sich, mal steht man auf weicher Erde, mal auf hartem Untergrund, dann wieder auf einem Flausch teppich.

In der Mitte, auf der großen Drehbühne des Burgtheaters, dreht sich ein Holzschiff um die eigene Achse. Dieser Kasten stand bereits im Slum der afrikanischen Stadt Lüderitz (siehe: Wie kam es zu „Area 7“?).

Dann gibt es noch ein raumfüllendes Windrad, das sich wie das Riesenrad langsam dreht und eine ideale Projektionsfläche für Filme abgibt. Alles dreht sich, alles bewegt sich hier. Auch der Gang durchs Labyrinth erweist sich letztlich als Gang im Kreis: Am Ende steht man wieder am Ausgangspunkt.

Heiliger Bimbam

Das Chaos, von dem Patti Smith in einem Interview gesprochen hat, ist augenfällig. Auch für das Heilige, das die US-Legende in dem Projekt sieht, gibt es vielerlei Anzeichen und Anspielungen.

Zunächst schwingt das Glaubensthema in der Musik mit, schließlich wird man mit Wagners „Parsifal“ und Bachs „Matthäuspassion“ voll gedröhnt. Welterlösungsmythen findet man aber auch in den alten Sagen. Schlingensief spricht davon, dass der Besucher von Midgard, so wird in der germanischen Mythologie die Welt der Menschen bezeichnet, nach Asgard gelangt, in der nordischen Mythologie ist das der Sitz der Götter.

Freilich fehlt es in den Wunderkammern nicht an religiösen Insignien – wie etwa der Fisch, Symbol des Urchristentums, oder der Schoko-Osterhase, Zeichen eines marktorientierten Glaubens und ein genmanipuliertes Zwitterwesen, halb Hase, halb Fisch, Metapher für den Glauben an die Naturwissenschaften.

Auch gibt es einen Raum mit Betstühlen, der sich „Forschungsgruppe Glaube“ nennt. Man kann darin „alle seine Probleme loswerden“, oder einfach Elfriede Jelinek zuhören, die vom Bildschirm herab einen Text vorliest, in dem es um das Leiden des Menschen an seiner Sterblichkeit geht. Sogar an einen „Kreuzgang“ hat Schlingensief gedacht: Es gibt zwölf Stahlschränke in denen Videofilme flimmern.

Das ganze Unternehmen funktioniert wie eine enorme Assoziationsbeschleunigung: Schlingensief verbindet hier alles mit jedem. Dadurch bietet er dem Besucher ein überbordendes Fusionserlebnis der Künste, ein wunderliches Sammelsurium an Themen – von 9/11 und Beuys über Odin und Wotan bis hin zu Hitler und Andy Warhol.

Die Gefahr des Abends liegt in seiner Beliebigkeit. Die Chance aber liegt in einem flirrenden Gedankenspiel. Und auch wer sich für „heiliges Chaos“ wenig begeistern kann, kann dabei einen Heidenspaß haben.