Und ab ins Urklo

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Nach Neuhardenberg, Island und Namibia machte Schlingensiefs „Animatograf“ nun im Wiener Burgtheater Station

Karin Cerny

Man beneidet den Aktionskünstler Christoph Schlingensief nicht um sein Leben. Ruhe ist da nämlich nicht: Gerade noch in der Wagner-Hochburg Bayreuth, dann wieder schnell ein paar Tage in einen Slum in Namibia, bevor es nächstens den Himalaya hinauf geht. Ach ja: und zwischendurch noch eine Arbeit am Burgtheater. Dazu toben Wagner, Vodoo und das Christentum im Kopf. So atemlos wie Schlingensief durch die Welt und durch die Kunstgeschichte hetzt, kommt einem Parzival, auf den er sich immer wieder beruft, wie ein lahmer Rentner vor. Schlingensiefs „Area 7“ ist sozusagen ein Zwischenbericht seiner reisenden Theater-Kunst-Installation namens „Animatograf“, die schon Island, Namibia und Neuhardenberg war und nun für ein paar Tage im Wiener Burgtheater zwischenlandete.

Wo vorher Sitze waren, dreht sich ein wackeliges Holzgerüst, alles ist vollgekritzelt und trashig. Es ist eine Reise durch den Kopf von Christoph Schlingensief, was zwar witzig, aber letztendlich kein Spaß ist. In Schlingensiefs Kopf ist es nämlich mindestens so verwirrend wie in einer Internet-Suchmaschine, in die man folgende Begriffe eingibt: Beuys, Jesus, 11. September, Arche, Fliegender Holländer, Hase, Vogel Strauß, Wagner.

In kleinen Grüppchen werden die Zuschauer von einer Führerin mit Megafon durch die Mytheninstallation auf der Hauptbühne geleitet. So als wäre man in einem Museum. Vorbei an der Jelinek-Telefonzelle – die Autorin hat einen kurzen Afrika-Text für Schlingensief geschrieben: „Afrika bleibt, wo es ist, das ist seine Tragödie“ – rein in die extrem schmalen Gänge und Holzverschläge. Wie in einer Aktionismus-Geisterbahn ist es hier: eine riesige Totenmaske von Joseph Beuys und überall Hasen.

Und die Führung sagt lakonisch: „Der Hase steht für Erlösung, ich weiß nicht, ob Ihnen das alles klar ist“. Den meisten ist recht wenig klar, und das wird auch so bleiben. Nächster Raum: Der Trauer- oder auch Hasenraum: „Hier finden sie die Originalgitarre von Jimmy Hendrix“. Und weiter geht die Devotionalienschau, die extrem auf Low Budget macht und doch Burgtheatergrößenwahn ist.

Es folgen: Das Ei von Beuys, der Babyraum (der Blutorgienmeister Hermann Nitsch im Kinderwagen), ein Video, das Schlingensief mit blonder Perücke zeigt – „Das ist die Enkeltochter von Beuys“, erklärt unser Guide mit Sachkunde in der Stimme. Dann rein ins „Urklo“, wo man sich zur eigenen Scheiße bekennen soll, aber, wie überall geht es so schnell, dass man gar nicht zur Besinnung kommt. Schlingensief-Tempo eben: da will die ganze Aktionismusgeschichte in zwanzig Minuten abgehakt sein. Schlingensief selbst schwirrt nur sporadisch durch und sagt: „Die Kartoffel hat ein Auge bekommen“ – und weg ist er.

Auf der Feststiege erklärt er den Parcours noch einmal ausführlich – aber die Ratlosigkeit wird dadurch nur noch größer. Es folgen ein improvisiertes Konzert von Patti Smith, die auch zugibt, nicht alles von dem Projekt verstanden zu haben. Auch Schauspieler Robert Stadlober schrammt ein paar traurige Lieder. Dazwischen: warten, dass noch etwas passieren könnte. Schlingensief sagt: „Vielleicht ist Heterostase das wichtigste Wort des Abends“. Alle gucken verwirrt. Zum Nachfragen bleibt keine Zeit. Die Drehbühne, die rollt. Und der nie zufriedene Schlingensief spielt schon längst wieder mit Änderungsideen.