Christoph Schlingensiefs Kampf gegen billige Schubladen (Salzburger Nachrichten)

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Ein Kommentar zu „AREA7“ von Bernhard Flieher

„Das ist kein Theater“, stellte der Inszenator Christoph Schlingensief klar. „Aber ganz wollen wir die Theaterfreunde auch nicht vertreiben. Ein paar Schmankerl für sie gibt es auch – so zwei, drei Minuten lang.“ So viel Bösartigkeit muss sein. Seine aktuelle Inszenierung „Area 7 – Eine Matthäusexpedition“ am Burgtheater dauert gut vier Stunden. Was sind da zwei, drei Minuten? Schlingensief hat das Theater ohnehin längst verlassen, obwohl er wieder einmal an einem seiner wichtigsten Orte antritt.

Provokateur wurde er genannt. Als Dilettant musste er sich beschimpfen lassen. Noch vor ein paar Jahren hätten ihn viele gern aus diesem Land gejagt. Damals wollte er den Wolfgangsee übergehen lassen, damit Helmut Kohl „nass wird“. Mit der Containeraktion „Ausländer raus“ brachte er kleinformatige Geister und Donnerstagsdemonstranten gleichermaßen gegen sich auf. Nun arbeitet er wieder im Burgtheater, wo er 2003 Elfriede Jelineks „Bambiland“ inszeniert hat.

Schlingensief verkörpert eine selten aufregende Spezies im Kunstweltbetrieb. Er jongliert mit dem Kanon klassischen Bildungsbürgerwissens ebenso problemlos wie mit der Popkultur. Seine Inszenierungen sind längst in den großen, ehrwürdigen Häusern der Theatertradition in Bayreuth oder Wien angekommen. An diesen Gralsorten der Kunstverehrung nutzt er die Gelegenheit, um alle Grenzen – vor allem die zur Bildenden Kunst – zu verwischen. Dass ihm eine Institution wie das Burgtheater dafür den Raum gibt, mag Theatertraditionalisten immer noch grämen. Aber wo, wenn nicht hier?

Es geht bei seiner aktuellen Inszenierung für Künstler wie Publikum nämlich darum, den Raum zu erkunden und ihn dabei auch auf seine Geschichte hin zu untersuchen, um in der Gegenwart anzukommen. Das ist ein höchst politischer Akt. Weil Schlingensief diesmal aber keine für jedermann simpel nachvollziehbare Botschaft, keine prallen Slogans postuliert, scheinen es die Gegner von einst nicht zu merken.

Schlingensief demonstriert, dass Theater mehr als Repertoire sein muss. Wo Theater Wirkung zeigen will, muss es sich von seiner Funktion als Repräsentationsapparat eines ewigen Kanons lösen. Bei Schlingensief taucht die Welt auf, wie sie ist. Wer erlebt, was er tut, bewegt sich in einem lärmenden, lügenden Universum. Man googelt sich aus dem Schlingensief-Netz, was man brauchen kann. Detaillierte Gebrauchsanweisungen oder gar den Anspruch auf eine Erkenntnis, die ein solcher Abend hinterlassen soll, gibt es nicht, Es liegt beim (mit)denkenden Individuum, zu entscheiden, was übrig bleibt. Das ist anstrengend.

Diese Haltung widersetzt sich einer Welt, die immer öfter Anweisungen erteilt und im Hinblick auf leichte Verkäuflichkeit alles in billige Schubladen stecken will.