Stau vor dem heiligen „Urklo“ (Salzburger Nachrichten)

Veröffentlicht am Autor admin

Von Bernhard Flieher

Vor dem „Urklo“ ist grad Stau. Da muss aber durch, wer zum „Kriegerdenkmal“ vordringen will und zur „Schlange ins Arschloch“, der „Hasenoffenbarung“ oder der „Kirche“. Aber jetzt staut es. Gut, dass Hermann Nitsch dasteht. „Den Zusammenhang bestimmen Sie als Besucher“, sagte Inszenator Christoph Schlingensief wenige Minuten vorher in einer Einführung. Also schnell gefragt. „Wie gefällt’s Ihnen denn so, Herr Nitsch?“ – „Er kennt wie ich das Urgeheimnis.“ – „Und was ist das Urgeheimnis?“ – „Ein Geheimnis.“

So wie es ja auch geheim ist, dass Nitsch nicht Nitsch ist, sondern von Hermann Scheidleder gespielt wird. Spiel oder Show oder Wirklichkeit – wen muss es kümmern?

Irm Hermann, die mit Fassbinder drehte, steht herum, schaut aus und tut wie Andy Warhol. Gestern sei sie auch dagestanden „und keiner hat’s bemerkt“ sagt sie. Warum sollte wer?Parsifal und Afrika, Wagner und Jackson Draußen auf der Feststiege fragt indessen Patti Smith, Rockpoetin und Punkikone, was der Gral sei. Und so bewegt man sich schon im Dickicht aus Legende und Mythos, Parsifal und Afrika, Wagner und Michael Jackson, das Schlingensief im Burgtheater wachsen ließ.

Wie im Dylan-Song „Desolation Row“ tauchen Figuren auf und unter: manche berühmt, manche von obskurer Bedeutung, alle wichtig in Schlingensiefs Kunstkoordinationssystem. Woher sie kommen? Was sie wollen? Ob es sie tatsächlich gibt? Diese Fragen treiben einen durch die Sammlung Schlingensief. Und sie wecken das ungut aufregende Gefühl, dass hier über alles und nichts nachgedacht werden soll. Also heißt es, das Ehrwürdige dieses Raumes zu verlassen und ihn wie Fremdland zu begehen und jede Zeit zu verlieren. Mittendrin statt nur dabei muss alles erfahren werden. Die Sinne werden betört. Nicht aber ablenkende Schönheit, ewig gültige Sätze des Welttheaters, tun das, sondern es prasselt Dreck und Wirklichkeit und Lärm der Welt. Es dröhnt Feedback. Es plärren E-Gitarren. Es lullen Orchesterklänge ein.

Das Ereignis heißt „Area 7 – Matthäusexpedition“, könnte aber auch Slumparty heißen oder Weltgetösekarussel oder Mozartaussperrung. Mit Theater in traditionellem Sinn hat es jedenfalls wenig zu tun.

„Area 7“ heißt ein Township in Namibia. Dort drehte Schlingensief vergangenen Herbst den Film „The African Twin Towers“. Besser: Er wollte drehen. 300 Stunden Filmmaterial entstanden. Nie wird daraus ein Film entstehen. Teile davon sind auf Video in der Burg zu sehen. Genauso wie Elfriede Jelinek beim Lesen zu sehen ist und Robert Stadlober die Gitarre umschnallt und freilich auch der Führer auftaucht in der Ehrenloge, wo ja auch schon „Paula Wessely und Horst Wessely“ (Schlingensief) waren. Und ein Schiff schleppte Schlingensief aus Afrika auch heran. Fitzcarraldo tat das einst im brasilianischen Dschungel, um eine Oper zu bauen. Kein Wunder, dass Schlingensief davon träumt, eine seiner nächsten Aktionen in Brasilien (oder in Nepal) zu realisieren. Nichts weniger als ein eigenes Kunst-Haus baut er, wo immer er sich kurz niederlässt.

Keiner schaut so schnell,wie Schlingensief denkt Nach Afrika kam der 45-jährige deutsche Universalkünstler, weil er vorher in Island war. Und auf die Insel kam er, weil er 2004 mit „Parsifal“ sein viel beachtetes und viel gelobtes Operndebüt in Bayreuth gab.

Bayreuth stieß das Tor in die Welt auf, sagt er. Und weil das alles schon recht kompliziert ist, spielt es womöglich gar keine Rolle. Schadet aber nicht, dass man es weiß. So wie es überhaupt nicht schadet, allerhand zu kennen von Beuys oder Warhol, von sakralen Ritualen oder Pop, über Weltpolitik bis Werbeslogans, um bei Schlingensief mitmischen zu können.

Niemand kann so schnell schauen, wie Schlingensief denkt. Keiner kann so viel hören, wie Schlingensief redet – oder reden, schreien, krächzen lässt aus Lautsprechern und Megafonen. Jeder nimmt aus vier Stunden „Area 7“, was er kriegen kann. Oder er lässt es, findet’s unterhaltsam oder überladen.

In 1000 Dinge, die niemand vergessen muss, eher sie gar nicht erst registriert hat, stößt Schlingensief die Besucher in freier Bewegung durch das ganze Haus am Ring. Aus allem Wissen, das wir mitbringen, aus allen Informationen, die wir erhalten, muss durch Schlingensiefs Arbeit freilich nicht zwangsläufig eine Erkenntnis entstehen. Darauf legt er es nicht an. Es gibt keine Premiere der Expedition, die „ja jeden Tag einen anderen Verlauf nehmen kann“. Kein Anfang und kein Ende sind vorgesehen (auch wenn heute, Freitag, eine „Eröffnung“ stattfindet). So steigt in die Expedition ein, wer will, wann und wo immer er will.

Schlingensief belehrt nicht. Er sammelt Kunstvorbilder, Alltagsmythen und Religionswahn. Er durchstreift die Welt. Was an ihm kleben bleibt, bietet er zur Weiterverwendung an.

Angeordnet hat er Zitate und Thesen, großkotzige Ansagen und Wandsprüche, Malerei und Videokunst in „Animatographen“. Das sind Drehbühnen, die angefüllt sind mit Objekten und Leben (in echt und per Video) und die unterteilt sind in verschiedene Segmente. Wer von drinnen hinausschaut, erlebt, wie sich durch die Drehbewegung auf den Leinwänden rundherum ein ständig neuer Film ergibt. Es entsteht ein Labyrinth kleiner Räume, die ein Universum an Assoziationen öffnen. Eine Art Zeltstadt wächst so bis weit ins Publikumsparkett des Burgtheaters.Nomadisieren im Paralleluniversum Das Nomadische liegt Schlingensief, der so gern über Paralleluniversen spricht. Es gehe ums Verteilen. Ungefähr bedeutet die Teilung des Universums, um Schlingensief frei zu interpretieren, dass, wer diese Zeilen hier liest, gleichzeitig darüber redet, was ein paar Seiten weiter hinten im Sportteil steht oder an „Desolation Row“ denkt. Was also, fragt uns Schlingensief, ist nun wahr, was ist wichtig?

Nur Patti Smith ist wirklich echt. In Bayreuth lernte sie Schlingensief kennen und reist ihm seither nach. Sie spuckt wie eh und je beim Singen. „Holy Trash“ sei dieser „Anamanito…amananagraf – ich weiß nicht, wie es heißt. Christoph sagt es mir dauernd, aber ich kann’s nicht behalten.“ – „Animatograf“, hilft jemand. „Yeah. That’s it“, sagt Smith. Das ist es, dieses „crazy thing“ von „crazy people“, die von den anderen „crazy guys“ hier hereingelassen worden sind. Warum, das weiß sie nicht. Aber sie sagt, sie fühle sich hier wohl. Sie spüre, dass sich hier etwas ereigne. „Ich glaube an das, was hier passiert“.