„DIE SACHE WAR AUCH MISSVERSTÄNDLICH“ (ORF)

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„Das Wetter ist wunderschön und soll auch so bleiben, eigentlich müsste ich mich nur freuen. Aber so ist es eben leider nicht.“ Christoph Schlingensief hat ein Jahr vor seinem Krebstod im Alter von 49 Jahren damit begonnen, die Erinnerungen an sein Leben auf Tonband zu sprechen, mit dem Plan, sie als Autobiografie zu veröffentlichen. Nun hat seine Witwe Aino Laberenz dieses Vorhaben postum in die Tat umgesetzt und die Memoiren unter dem Titel „Ich weiß, ich war’s“ herausgegeben.

Das Buch, in dem neben den transkribierten Tonbandaufnahmen auch Briefe, Blog-Einträge, E-Mails und Vortragstexte ihren Platz finden, sollte ein „Band der vorletzten Worte“ werden, „der unvollendeten Gedanken“. Schlingensief habe sich weder erklären noch sich selbst Kapitel für Kapitel abhandeln wollen, beschreibt Laberenz die Intention des Buches. Und so ist „Ich weiß, ich war’s“ eine absichtlich sehr lücken- und sprunghafte Autobiografie, in typischer Schlingensief-Manier bissig, absurd komisch und pathetisch zugleich.

Anekdoten und künstlerische Stationen

Gewürzt sind die Erzählungen über seine künstlerischen Stationen von den ersten Filmexperimenten über seine Parteigründung bis zum Traum vom Operndorf in Burkina Faso mit allerhand Anekdoten von Begegnungen mit Prominenz aus Kunst, Kultur und Politik.

Recht lustig lesen sich auch Passagen über Schlingensiefs Zusammentreffen mit dem „heimlichen deutschen Königspaar“ Wolfgang und Gudrun Wagner vor seiner „Parsifal“-Inszenierung in Bayreuth und die Berichte von den Proben auf dem „grünen Hügel“. Man hätte sich eben gut verstanden, so von Wohnmobilfan zu Wohnmobilfan, schreibt Schlingensief (auch wenn sich Gudrun Wagner über die Entleerung der „vollgeschissenen Eimer“ beschwert habe).

Eine Freundschaft, die nicht lange hielt – denn nach der Skandalpremiere versuchte man den Regisseur aus dem Vierjahresvertrag zu ekeln, was dieser zu verhindern wusste. „Das war prima: Die Familie Wagner musste blechen und blechen für ihren wahnsinnig teuren Anwalt, während meiner da aus Freundschaft loslegte.“

Weinen und knutschen mit Tilda Swinton

Genauso humorvoll beschreibt Schlingensief seine Liaison mit der Schauspielerin Tilda Swinton, die ihm nach der Premiere seines Aufregerfilms „Menu total“ 1986 vorgestellt wurde. „Ich sitze depressiv in diesem Cafe rum und warte, da kommt tatsächlich eine Wahnsinnsfrau an, lange rote Haare, wunderschönes blasses Gesicht: Tilda Swinton. Ich sehe die und denke: Klingeling, wow, was ist denn das? Bei ihr hat’s auch geklingelt“, beschreibt Schlingensief die erste Begegnung.

„Ich konnte kaum Englisch, und sie konnte kein Wort Deutsch, aber das machte nichts, wir haben sowieso nur geweint und geknutscht, immer abwechselnd.“ Kurz darauf drehte der Regisseur mit seiner Freundin und Udo Kier seinen nächsten Film „Egomania – Insel ohne Hoffnung“ – ein irrwitziges Drama, in dem sich bereits der Hang zum Gesamtkunstwerk erahnen ließ.

Gegen die Trennung von Kunst und Leben

„Kunst ist für mich nur interessant, wenn sie auf das Leben bezogen ist, wenn sie an der Trennung von Kunst und Leben kratzt“, beschreibt Schlingensief seinen inneren Antrieb, der ihn im Laufe seines Lebens zu einem Künstler werden ließ, dessen Namen nur erwähnt werden musste, um Kritiker – auch aus ansonsten kulturuninteressierten Kreisen – auf den Plan zu rufen. Die Angst, nicht ernst, sondern nur als „Berufsprovokateur“ (als der er oft bezeichnet wurde) wahrgenommen zu werden, ist zwischen den Zeilen von „Ich weiß, ich war’s“ oft herauszulesen.

„Der Wunsch, diese Menschen zu mobilisieren, war völlig ernst gemeint“, erklärt er zur Gründung seiner Partei Chance 2000, mit der er 1998 in den Bundestagswahlkampf zog. „Chance 2000 war keine Spaßpartei – auch wenn wir natürlich eine gewisse Art von Humor vertraten und oft ziemlich viel Spaß hatten.“

„Baden im Wolfgangsee“ als Wahlkampfaktion

Das verwundert wiederum nicht, denkt man unter anderem an die legendäre Aktion „Baden im Wolfgangsee“, bei der Schlingensief die sechs Millionen deutschen Arbeitslosen dazu aufrief, gleichzeitig den See im Salzkammergut zu stürmen. Seinen Berechnungen nach wäre das Wasser um drei Meter angestiegen und hätte Helmut Kohls Ferienhaus geflutet, wären nicht nur 600 Menschen („inklusive Medien“) gekommen. „Ein Totaldesaster, das ich als Politiker aber natürlich entsprechend wenden konnte“, zeigt sich Schlingensief selbstironisch.

Mit den Schnittstellen von „Realität und Fiktion, zwischen Leben und Kunst“ habe er auch später immer wieder gespielt, wenn auch, wie er betont, nicht immer absichtlich. So sei er etwa keineswegs auf das riesige Echo vorbereitet gewesen, das seine „Ausländer raus!“-Container-Aktion im Rahmen der Wiener Festwochen 2000 hervorgerufen habe. Proteste, Demos, Ratlosigkeit. Und danach: der Ruf als Störenfried und großer Künstler zugleich.

„Ich war plötzlich Everybody’s Darling. Natürlich habe ich mich über den Erfolg gefreut, aber die Sache war auch missverständlich.“ Es sei ihm nicht darum gegangen, zu zeigen, „wie beschissen rechtsradikal die Österreicher sind“, erklärt Schlingensief. „Ich wollte eine Bilder-Störungsmaschine bauen.“

Geordnetes Durcheinander

Hätte Schlingensief das Buch selbst gemacht, wäre es ein anderes geworden, schreibt Laberenz im Vorwort zu „Ich weiß, ich war’s“. Trotzdem: In der Zusammensetzung ist die Autobiografie sehr authentisch und pointiert. „All dieses Durcheinander hat mir eigentlich erst Aino genommen“, beschreibt der Künstler einmal, „damals im Krankenhaus, als ich sie wegekeln wollte, sie aber geblieben ist. Nur gesagt hat: Ich bleibe, weil ich dich liebe.“

Quelle: ORF.at vom 08.10.2012, von Sophia Felbermair