Eine Biennale reicht nicht in Berlin, fand der Künstler Tjorg Douglas Beer und organisierte gemeinsam mit der Kuratorin Anna Catharina Gebbers und anderen Mitstreitern aus der hauptstädischen Kunstszene die Berlin Kreuzberg Biennale
von Elke Buhr
Unter dem schönen Titel „Ayran und Yoga“ haben über 40 Künstler und Künstlerinnen den öffentlichen Raum zwischen Kreuzkölln, Urbankrankenhaus und Oranienplatz bespielt. Die Namen auf der Liste hätten auch einer offiziellen Biennale gut gestanden, von Terence Koh über Christian Jankowski und Isa Melsheimer bis zu Olaf Metzel.
Entscheidender Unterschied: Die Berlin Kreuzberg Biennale arbeitet ohne Etat, jeder der eingeladenen Künstler realisiert sein Werk komplett in eigener Regie: ein großes Off-Festival selbstbestimmten Arbeitens. Dementsprechend punkten die Werke durch Idee und Witz statt durch großen Materialeinsatz. Das Prinzip ist den schnellen Eingriffen der Street-Art entliehen, die Haltung durchweg zurückhaltend: Es geht hier um die kleine Geste und nie um Formalismus, sondern immer um direkte Interventionen in die soziale Realität.
Gleich am Oranienplatz, wo der von den Ausstellungsmachern vorgeschlagene Rundgang beginnt, hat Daniel Knorr die Ansage „1 Jahr Garantie – öffentlicher Raum“ per Schablone an die Wand gesprüht: ein deutlich subtilerer Kommentar zur Gentrifizierungsdebatte als normalerweise in Kreuzberg zu hören. In der Graefestraße stellt Antoine Renard ein altes Fahrrad in einen Hinterhof, das statt des Sitzes ein Glaskristall hat: „The Jewel“ heißt das Werk. Terence Koh hängt in der Urban Straße jede Woche einen neuen Auszug aus seinem Online-Tagebuch an einen Baum (nachzulesen hier) und Gregor Hildebrandt wickelt ein Stück Kassettenband um einen Strauch am Urbanhafen. „Es schläft ein Lied in all den Dingen“ heißt die Arbeit.
Einer veritablen Skulptur am nächsten kommt noch James Krone, der aus Gürteln und Stahlstangen eine Struktur zusammengebaut hat, die ein Badminton-Netz darstellen soll. Ansonsten gehen die Arbeit eher ins Immaterielll-Poetische: April Lamm etwa stellt ein Schild mit der Aufschrift „This is a Single Sock“ in einem Teich in der „Japanischen Oase“ hinter dem Fraenkelufer. Der Rest der Socken-Geschichte ist Imagination.
Die Outdoor-Projekte dieser alternativen Biennale sind per Karte, anhand der Werkbeschreibungen und mit einigem detektivischen Spürsinn zu erlaufen und verleiten so zu einer urbanistischen Forschungsreise. Viele andere Arbeiten führen in halböffentliche Innenräume, und auch hier ergeben sich ungewöhnliche Einblicke: Abstrakte Fotografien Arno Auers hängen im Imren Grill in der Boppstraße, Isa Melsheimers wunderschöne Glasskulptur „Zwischengebirge“ fügt sich perfekt in das Schaufenster einer Glaserei in der Graefestraße, Christian Jankowskis bekannter Film „Die Jagd“ (1992), in demer mit Pfeil und Bogen in den Supermarkt geht, findet eine perfekte Heimat in einem kleinen Lebensmittelgeschäft, und Christoph Schlingensiefs Filme über Tiere konnten nirgendwo anders als im Aquariengeschäft an der Skalitzer Straße gezeigt werden. Und wenn Malte Urbschat die Ergebnisse seiner Recherche über neu entwickelte nicht-tödliche Waffen auf kopierten Zetteln an die Wand eines Copyshops hängt, dann spiegelt er nicht zuletzt die bestehende Ästhetik des Ortes mit seinen überbordenden Zettelwänden.
Als No-Budget-Veranstaltung auf Netzwerk-Grundlage ohne institutionelle Basis ist diese spontan und mit bewundernswertem Engagement aus dem Boden gestampfte Berlin Kreuzberg Biennale für viele der teilnehmenden Künstler eine Art Lockerungsübung. Gleichzeitig oder gerade deshalb hat sie immer wieder erstaunlich viel Substanz – und eine äußerst angenehme Art, ihrem Ort, nämlich Kreuzberg, die Referenz zu erweisen.
Ergänzt wird das Programm durch eine Serie von Abendveranstaltungen, Filmscreenings, Präsentationen und Dinners in Ateliers und Studios des Viertels.
Quelle: MONOPOL vom 18.06.2010