Aus der Berliner Morgenpost. Von Eckhard Fuhr
Diese Woche habe ich Christoph Schlingensief besucht. Man muß im tiefsten Brandenburg tief in den Wald, um ihn zu finden. In einem verlassenen Bunker des fast verlassenen Flughafens Neuhardenberg, wo er an „Odins Parsipark“ arbeitet, klappte er seinen Laptop auf und zeigte mir das Video von dem verwesenden Hasen, der im Finale seiner Bayreuther „Parsifal“-Inszenierung Erlösung verheißt.
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Der Hase ist voller Leben. Erst lassen Gase seinen Leib pulsieren, dann umschwirren ihn immer mehr Fliegen, aus deren Eiern bald Maden kriechen. Irgendwann öffnet sich der Hasenleib, während Wagners Musik in Schönheit erstirbt. Schlingensiefs Truppe ißt derweil Spinat und Spiegeleier. Auch wer an einer „ur-animatographischen Installation mit sechs Aktionen“ arbeitet, hat das Anrecht auf eine warme Mahlzeit. Ein kleines Kind im Spiderman-Kostüm schwebt durchs Gehölz. So geht es zu im proletarisierten Osten.
Wir wollten über Religion sprechen, weil der Papst demnächst nach Köln kommt. Schlingensief sprach viel von seiner Mama und seinem Papa. Er ist ein guter Sohn, der seinen Eltern Freude machen will. Sein theatralisches Handwerk hat er als Meßdiener gelernt. In der Götterwelt kennt er sich ziemlich gut aus, vor allem in der nordischen. Es ist nicht verkehrt, wenn man in Brandenburg den Himmel offenhält. Hasen kommen dort wieder häufiger vor, nachdem sie fast ausgestorben waren. Sie sind ein Zeichen der Hoffnung. Der Hase ist eine Bereicherung der weiten märkischen Fluren, obwohl man ihn wegen seiner Promiskuität, seiner Naschhaftigkeit und seines Hangs, allen Herausforderungen hakenschlagend aus dem Wege zu gehen, keineswegs als bürgerliches Tier betrachten kann. Aber wann war Brandenburg je bürgerlich?
Das Bürgerlichste an Brandenburg ist zur Zeit wahrscheinlich Christoph Schlingensief. Er geht keiner Herausforderung aus dem Weg und kümmert sich um seine Familie, zu der eine Menge Freaks gehören, die bei ihm menschliche Wärme und Beschäftigung finden. Außerdem spürt man in seinem Bunker die innere Einheit, obwohl man nicht überrascht wäre, wenn aus dem Gebüsch des Flugplatzes versprengte NVA-Offiziere hervorsprängen, die von der Auflösung ihrer Truppe noch nichts gehört haben. Schlingensief knüpft Fäden zwischen Neuhardenberg, Bayreuth und Köln, künstlerisch-spirituelle und mythologische jedenfalls.
Edmund Stoiber hat rechtzeitig zum Jahrestag des Mauerbaus eine Debatte darüber losgetreten, ob die frustrierten Ostdeutschen zuviel politischen Einfluß haben. Stoiber scheint einfach die Nase voll zu haben vom Osten. In einem Sommerinterview, das er in Meersburg am Bodensee gab, zeigte er das durch das blaue Polohemd mit dem grünen Krokodil-Emblem, das er trug. Es ist so BRD-typisch, wie die Stonewashed-Jeans im Wendeherbst 1989 DDR-typisch waren. In diesem blauen Marken-Polohemd drückt sich die Sehnsucht des Wessis nach dem Status quo ante aus. Wahrscheinlich lag es seit den frühen Achtzigern in Cellophan verpackt bei Stoibers in der hintersten Ecke des Kleiderschranks. Man wirft ja nichts weg. Vielleicht sollten Stoiber und Schlingensief einmal miteinander reden. Sie kennen sich ja aus Bayreuth.