„Ich bin nicht die Provo-Batterie“

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Regisseur Christoph Schlingensief über seine neue Religiosität und die Bedeutung von Glaube, Liebe, Hoffnung für den Weltjugendtag

Die WELT vom 14.08.20205. Von Gabriela Walde; Eckhard Fuhr

DIE WELT: Herr Schlingensief, Sie haben die „Church of Fear“ (COF) ins Leben gerufen. Auf dem Dach des Museum Ludwig in Köln steht derzeit die kleine weiße Kirche, die Sie vor zwei Jahren bei der Biennale in Venedig in den Giardini errichtet hatten. Wie stehen Sie als Kirchenführer zu Papst Benedikt XVI., der am Weltjugendtag nach Köln kommen wird? Sehen Sie ihn als Kollegen?

Christoph Schlingensief: Die COF hat keinen Kirchenfürsten. Keinen Schlingensief, keinen Groys oder wer da sonst noch gepredigt hat. Wir sind so etwas wie das schlechte Gewissen der großen Kirchen, da muß man wirklich im Plural sprechen. Und durch Kasper König, den Leiter des Museum Ludwig, der die „Church of Fear“ ausstellt, trifft dieses schlechte Gewissen jetzt auf Ratzinger.

DIE WELT: Was könnte bei einem solchen Zusammentreffen herauskommen?

Schlingensief: Ich glaube nicht, daß Ratzinger ein interessierter Gesprächspartner wäre. Wir würden übrigens auch schwer einen geeigneten Gesprächspartner für ihn finden. Von den ,geeigneten Gesprächspartnern‘ hat der Papst sowieso genug. Man bekommt eine Audienz, kommt aufs Foto und darf nachher sagen: ,Der Papst hat uns seinen Segen gegeben.‘ Also was soll das?

DIE WELT: Was halten Sie vom Papst als Regisseur und Performance-Künstler, wenn Sie sich noch einmal vergegenwärtigen, was im Frühjahr in Rom bei der Grablegung des alten und der Inthronisation des neuen Papstes vor sich ging?

Schlingensief: Wojtyla kam mir vor wie der alte Schauspieler Bernhard Minetti, der kaum noch sprechen konnte. Allerdings stand neben ihm nicht der junge Martin Wuttke, der das für seine Rolle genutzt hat. Die eigentliche Beerdigung von Papst Johannes Paul fand hinter den Kulissen statt. Minetti hatte seine Eigenart, die man bewunderte und die man beschützt sehen wollte. Der sterbende Papst hatte gewaltige Massenauftritte, von denen man hingerissen, aber auch abgestoßen war. Der Regisseur des Ganzen ist nun gleichzeitig der Nachfolger, das unterscheidet uns beide. Wenn ich Papst Johannes Paul im Film oder auf der Bühne als eine fast spastische Figur gezeigt hätte, dann hätte es wieder geheißen, ich sei ein Zyniker.

DIE WELT: Gibt es eine neue Religiosität, eine Sehnsucht nach Erlösung?

Schlingensief: Wahrscheinlich schon. Früher habe ich mich gefragt, was Religion eigentlich soll. Der Ausweg war immer, zu sagen: ,Liebe Götter, ihr könnt mich mal kreuzweise‘, ich brauche euch hier unten sowieso nicht, ich mache das allein, das geht schneller und ist billiger. Seit anderthalb Jahren ist diese Einstellung weg. Ich war schon immer melancholisch, und manchmal auch sehr laut, um darüber hinwegzutäuschen. Aber wenn die Eltern immer kränker werden, wenn die Kräfte schwinden, suche ich andere Batterien für Glückseligkeit oder von Freude. Die Melancholie bleibt. Ich habe in der Unabwendbarkeit des Endes neue Energie gefunden. Das berührt mich auch gerade in einigen Opern von Wagner. Der verbindet Erweckungserlebnis und Todesbild, Tod und Erlösung. Schon zehn Sekunden, nachdem ich erweckt bin, merke ich, daß das alles ganz grauenhaft ist, aber in diesem sehnsüchtigen Zwiespalt gewinne ich die Kraft, besser zu arbeiten und zu leben. Also kein Fatalismus. Das will ich auf keinen Fall.

DIE WELT: Lassen Sie uns über Gerhard Schröder sprechen, den sie vor sechs Jahren in ihrem Stück „Berliner Republik“ mit dem Plan schwanger gehen ließen, Wagners Ring in der Wüste Namibias zu inszenieren. Kürzlich äußerten sie sich enttäuscht über ihn. Hatten Sie von ihm Erlösung erwartet?

Schlingensief: Nein, keine Erlösung. Warum auch? Wovon denn? Für die Erlösung ist jeder selbst zuständig. Als am Anfang von Schröders Amtszeit sein Vorgänger noch im Bonner Kanzlerbungalow saß, da ging Schröder zu ihm, um sich Rat zu holen. Kohl hat 16 Jahre lang vorbereitet, worauf Schröder aufbauen konnte, im Guten wie im Schlechten. Da war nach 16 Jahren auf einmal ein neuer dran, das war gut, das hat Hoffnung gegeben. Aber auch wenn man von Hoffnung leben kann – Ratzinger kann ein Lied davon singen – dann ist das noch lange keine Lösung oder gar eine Erlösung. Es kann z.B. keine Vollbeschäftigung geben, ohne daß Arbeitnehmer darauf verzichten, zu arbeiten. Den Kanzlerkandidaten, der mir erzählt, daß er auch nicht mehr weiter weiß, den wähle ich.

DIE WELT: Sind Politik und Religion völlig getrennte Sphären? Auf die Politik richten sich doch immer wieder Heilserwartungen.

Schlingensief: Aber auf Schröder nicht, auf jeden Fall nicht, was mich betrifft. Und ich bin einer dieser Wechselwähler, auf die er jetzt so abzielt. Schröder ist vorbei, kein Saft mehr. Seine Pressekonferenzen mit Müntefering haben Begräbnischarakter und sind traurig. Was die SPD jetzt vorführt, ist Sparprogramm, damit sich die Wahlkampfkostenrückerstattung rechnet. Die Wahlplakate sehen aus, als seien sie aus den Resten der letzten Plakate zusammengeklebt worden: ,Wir sind sozial. Was sind die anderen?‘ Will man eine Partei deren letzter Ausweg nur aus einem ,Vergleich‘ besteht?

DIE WELT: Also die direkte Demokratie?

Schlingensief: Um Gottes willen. Davor habe ich eine ,Heiden‘-Angst. Heutzutage ist Demokratie nur ein Wäscheständer, an dem die Wähler kleben bis sie trocken sind. Dann fallen sie runter und bilden Humus für die nächsten Demokratieversprechen. Geschichte ist kein Sturm, in dem man sich trocknen läßt. Demokratie heißt Eigenhaftung zu übernehmen.

DIE WELT: Und damit wollen Sie sich in Köln auf die Jugend stürzen?

Schlingensief: Ich stürze mich nicht auf die Jugend. Der Papst stürzt sich auf die Jugend.

DIE WELT: Aber Sie wollen sie erreichen.

Schlingensief: Kaspar König hat schon 2003 auf der Biennale in Venedig gesagt, daß er die „Church of Fear“ gerne auf das Dach seines Museums stellen möchte. Von einem Weltjugendtag war da noch gar keine Rede, und auch nicht von einem neuen Papst. Trotzdem ist der Medientenor jetzt: ,Schlingensiefs Church of Fear kommt zum Weltjugendtag nach Köln und macht Rabatz‘. Völliger Blödsinn. Da wollen Leute Tumult. Da gibt es Leute, die mich fragen, wann ich denn endlich, Zitat! ,aufs Kreuz scheiße‘ usw. Das interessiert doch keinen Jugendlichen mehr. Das ist Medienmaschine.

DIE WELT: Die jungen Leute interessieren Sie nicht mehr?

Schlingensief: Junge Leute kenn‘ ich nicht. In meinem Altenheim reden wir von Unsterblichkeit. Die jüngsten Leute, die ich kenne, sind schon Anfang siebzig. Ich stehe nicht in der Haftung, stellvertretend für die Jugend zu provozieren.

DIE WELT: Sie unterlaufen eher alle Provokationserwartungen. Wie in Bayreuth mit dem ,Parsifal‘.

Schlingensief: Das ist der Lauf der Dinge. Ich bin Mitte vierzig und fühle mich inzwischen auch für die älteren Toren verantwortlich.

DIE WELT: Sie haben sich sehr verbissen in die nordische Mythologie.

Schlingensief: Wieso verbissen? Versteh ich nicht. Das isländische Wort für ,übersetzen‘ heißt ,auftauen‘. Auf Island ist die Edda, also die nordische Geschichte von Anfang und Ende der Zeit, schockgefrostet worden. Da liegt das Material, aus dem Wagner seine Götterwelten gebastelt hat, in Reinform. Die griechische und die christliche Mythologie hatte ich schon vorher halbwegs drauf, jetzt kommt noch die nordische dazu. Mich interessiert der Verwandtschaftsgrad all dieser Götter. Die leben ja nicht in getrennten Welten. Als Figuren interessieren mich Toren wie Jesus und Mohammed, und meinetwegen auch Buddha.

DIE WELT: Warum gerade die?

Schlingensief: Weil sie vom Himmel gesandt werden, wenn einer dieser Götter Probleme hat. Und Gott hat meist ein Riesenproblem am Hals: Er kann nicht sterben. Also beauftragt er jemanden, der ,ans Kreuz muß‘. Selbst der da oben bastelt also an einer Möglichkeit, zu sterben. Das ist hochgradig anziehend und abstoßend zugleich.

DIE WELT: Was bedeutet Religion für Sie persönlich?

Schlingensief: Beten bis der Papst kommt. Ich bete im Flugzeug, vor dem Start, weil ich mich da persönlich ausliefern muß.

DIE WELT: Sie klingen irgendwie altersmilde.

Schlingensief: Keine Komplimente bitte! Es ist viel einfacher. Ich habe mehr Zeit, weil ich an den ,großen deutschen Wettrennen‘ um den nächsten Reiz nicht mehr teilnehmen kann. Das hält mich fit. Nach Bayreuth komme ich mir vor, als wäre ich in einem Hardcore-Ausbildungscamp gewesen. Also kurz: Ich bin nicht mehr die Provo-Batterie. Die Explosionen in London sind Provokation genug. Und ich kann nicht immer die Repeat-Taste drücken.