KUNST VON BEHINDERTEN UND PSYCHISCH KRANKEN (Hamburger Abendblatt)

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Zur Ausstellung „Zeige deine Wunde“

Hamburger Abendblatt, 29. März 2006

Erst spät, im Alter von 60 Jahren und nach fast 50jährigem Aufenthalt in der Psychiatrie, hat Adolf Beutler die Kunst für sich entdeckt. Jetzt nimmt er sich den Raum zur Entfaltung – im doppelten Sinne. Und seine Arbeiten zeigen, daß in der Kunst Behinderung kein Stigma ist, sondern zu außergewöhnlichen Leistungen befähigen kann.

Als Bindeglied zwischen sogenannter Normalität und Erkrankung versteht sich die Ausstellung „Zeige deine Wunde – befreiende Kunst. Psychiatrieerfahrene stellen aus“. Als Ergebnis eines vom Behindertenbeauftragten der Bundesregierung ausgerufenen Wettbewerbs gastiert die Wanderausstellung jetzt auf Kampnagel. Rund 200 Gemälde, Zeichnungen und Fotografien von 123 Künstlern sind in der Halle K3 versammelt. Es sind sehr unterschiedliche Arbeiten. Sie reichen von kindlich-naiven Porträts über naturalistisch ausgeführte Darstellungen, von expressiv-farbigen Bildern bis zum ornamenthaft-verschlungenen Formenspiel. Und folgen manche unmittelbar der Aufforderung „Zeige deine Wunde“, so zeigen andere lebensbejahende Szenen.

Ein Raum zeigt Folgen von Kindesmißbrauch: Selbsthaß und Selbstzerstörung. Die Bilder im nächsten Raum sprechen schonungslos von der Ausweglosigkeit und Angst zum Beispiel schizophreniekranker Menschen. Zum Schluß darf man dann noch einmal aufatmen. Ein kleiner Raum versammelt fröhlich-bunte Malereien von Künstlern mit geistiger Behinderung.

Insgesamt haben an der Ausschreibung bundesweit 1200 Künstler teilgenommen. Das spricht für ein großes Bedürfnis nach Anerkennung ihrer künstlerischen Arbeit, aber auch nach Verständnis für ihr Leid. Dennoch: Darf man seelische Not in einen Wettbewerb stellen? Einer der prominenten Juroren hatte damit ein Problem. Christoph Schlingensief kapitulierte nach dem ersten Rundgang: „Eine Preisvergabe würde bedeuten, wir zeichnen jemanden aus, damit er mit der Bescheinigung des Behinderten ( . . . ) herumlaufen kann. Der wird dann nicht als Künstler, sondern als Behinderter wahrgenommen. Während in der Kunstszene sehr viele herumtoben, die froh sind, Kunst zu schaffen, um nicht in der Psychiatrie zu landen.“

„Zeige deine Wunde“, Kampnagel, Jarrestr. 20, 29. 3.-23. 4, 18-21, außer am 3., 4., 9., 10. und 14.-18.4., Symposion zur Finissage 23. 4., 18-21 Uhr.