High-Performer: Christoph Schlingensief, Regisseur, Bürgerschreck, Multitalent. Ein Porträt anläßlich des zweiten „Erscheinens“ des Animatographen am Wiener Burgtheater
Von Almuth Spiegler
Vom brotlosen Provokateur zum hoch subventionierten Staatskünstler – die typische steile Künstlerkarriere, gegen die jeder Betroffene natürlich schärfstens protestiert. Und dennoch. Als halb schaudernd machender, halb angehimmelter Bürgerschreck weltweit die renommiertesten Museen, Theater und Festivals bespielen zu dürfen, scheint in unserer Gesellschaft heute eines der wohl objektivsten Anzeichen künstlerischen Erfolgs zu sein.
Christoph Schlingensief, 1960 als Sohn eines Apothekers und einer Kinderkrankenschwester in „extrem kleinbürgerliche“ Verhältnisse in Oberhausen hineingeboren, ging als rasanter Paradekomet auf dieser tückischen Laufbahn auf – und scheint dort gerade am Zenit zu halten: etwa mit seiner 2004 wie üblich heftig umstrittenen Inszenierung von Wagners Parsifal bei den Bayreuther Festspielen, ein Ziel dass er nach eigenen Angaben „mit Penetranz“ verfolgt hat. Und mit seiner monströsen begehbaren Wander-Performance-Installation „Area 7“, die heuer im Frühjahr im Burgtheater in Wien Station machte (nächster Termin: 5. Mai).
Wohin soll es da noch weitergehen? Die besten Projekte des scheinbar ewig knabenhaften Mitvierzigers wirkten allerdings schon immer wie unübertreffliche Endpunkte eines stets unberechenbaren Werks. Sei es in Schlingensiefs Rolle als Filmemacher – Anfang der 80er machte er sich mit experimentellen Kurzfilmen einen ersten Namen -, als Talkshow-Moderator („Talk 2000, 1997 bei RTL, „Freakstars“, 2002 bei VIVA Plus) oder als Theatermacher.
1993 debütierte der von der deutschen Zeitung „Die Welt“ einmal zum „wichtigsten Künstler der Neunzigerjahre“ gekürte Studienabbrecher mit „100 Jahre CDU – Spiel ohne Grenzen“ an der Berliner Volksbühne. Seine oft tumultartigen Inszenierungen, bei denen schon einmal Porno-Videos projiziert und Blumentöpfe von der Bühne geworfen werden, erarbeitet Schlingensief meistens mit einer ihm seit Jahren treuen Truppe aus Laien, Schauspielern, Behinderten – oder auch, wie bei seiner Version von „Hamlet“ 2001 im Zürcher Schauspielhaus, mit angeblich aussteigewilligen Neonazis.
In einer seltsam distanzierten gegenseitigen Verehrungshaltung, von Genie zu Genie, fanden sich Schlingensief und Elfriede Jelinek: 2003 brachte er im Burgtheater mit „Bambiland“ das Stück der Nobelpreisträgerin zum Irakkrieg zur Uraufführung.
Nimmermüde und nach den Regeln der Postmoderne alles und sich selbst zitierend, ist Schlingensief aber auch aus der bildenden Kunst nicht wegzudenken: Vertreten wird er von einer der marktbestimmenden Galerien, den Schweizern „Hauser & Wirth“, unterstützt von Mäzenin Francesca Habsburg. Seine Aktionen sind zwar als Skandale angelegt, aber immer mit einem ernsthaften polit- bzw. sozialkritischen Hintergrund. Bei der Kasseler Weltkunstschau „documenta X“, 1997, forderte er im Rahmen einer Aktion auf Plakaten „Tötet Helmut Kohl!“, was als „Notruf für Deutschland“ aufzufassen war: In einer Nachfolgeaktion in Hamburg spielte und lebte Schlingensief dann eine Woche lang mit Obdachlosen und Drogensüchtigen. Bei der Biennale Venedig 2003 startete er mit einem „Pfahlsitz“-Wettbewerb „terrorismusgeschädigter Arbeitsloser“ seine mittlerweile laut Homepage 20.000 Mitglieder zählende „Church of Fear“ (www.church-of-fear.net).
Wir in Österreich „fürchteten“ uns auch: 1998 etwa, als der Deutsche mit einer Gruppe Arbeitsloser und Nichtwähler in den Wolfgangsee stieg, um Kohls Feriendomizil zu überschwemmen. Oder 2000, als er zwölf Asylwerber in einen Container vor dem Burgtheater a la „Big Brother“ „herauswählen“ ließ. Der Sieger bekam eine Staatsbürgerschaft durch Heirat versprochen.
Scharlatan und Selbstdarsteller, denken manche bei Schlingensief. Ein kalkulierender Berufsprovokatuer und Künstlerkarrierist andere. Jedenfalls eines kann man dem polarisierenden Globetrotter mit Homebase Berlin nicht absprechen: den Erfolg.
Die Presse, 25.3.06