„Ich bin nicht der große Gralssucher“ (APA)

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Interview zur Burgtheater-Installation „AREA 7“: „Die Unerlösbarkeit ist das Thema“

(APA)

Der deutsche Theaterkünstler und Aktionist Christoph Schlingensief ist mit seiner Drehbühnen-Installation „AREA 7 – Eine Matthäusexpedition“ ab 17. Jänner im Burgtheater zu Gast. Im Zentrum seines Werks steht der so genannte Animatograph, ein Apparat, der aus mehreren Drehbühnen besteht, wo jeweils Stationen des Lebens und der Weltgeschichte dargestellt werden. Im Interview mit der APA sprach Schlingensief über Mythen und Monopole, die Unerlösbarkeit des Menschen, das immanent Politische seiner Arbeit und die Installation in Wien.

Bei Schlingensiefs Inszenierung des „Parsifal“ in Bayreuth kam der Animatograph zum ersten Mal zum Einsatz, seitdem wächst er beständig. Für das riesige Gebilde wurden im Burgtheater zahlreiche Sesselreihen im Parterre entfernt. Der Künstler, der 2003 in Wien bei Elfriede Jelineks „Bambiland“ Regie führte, verwebt bei „AREA 7“ die Aufführungspraxis des Theaters mit der Ausstellungspraxis des Museums und schickt das Publikum auf einen Erkenntnis-Parcours. Der Name der begehbaren Installation stammt von einem Township in Namibia, das neben Island und Neuhardenberg in Brandenburg eine der zentralen Stationen seiner Reise mit dem Animatographen darstellte.

Herr Schlingensief, suchen Sie den Gral?

Schlingensief: Das kommt immer darauf an, wie man den Gral definiert. Da gibt’s ja verschiedene Deutungen. Der Gral als flammendes Herz, als Erlösungselement oder als Honigpumpe, als Blutpumpe ist auf jeden Fall eine Projektionsfläche, die viele Kräfte freisetzen kann. Aber ich bin nicht der große Gralssucher. Mir geht es vielmehr um die Bilder, die ich bereits gefunden habe und die jetzt wieder mit anderen Bildern zusammen treffen, etwa dem Burgtheater als einem Mythenort. Da geht es um Spannungsfelder und Energien, die der Animatograph vorfindet.

Sie waren mit dem Animatographen in Island, Namibia, Neuhardenberg – und nun in Wien…

Schlingensief: Der Sammelpunkt ist die Sozialisation der Menschen. Wenn Parzival Waffen bekommen hätte, wäre er auch Krieger geworden. Weil er die aber von der Mama nicht bekommen hat, hat er Enten gejagt, anstatt auf Menschen einzustechen. Er ist also anders sozialisiert. Die Mythen- und Legendenbildung, von der wir alle leben, ist aber gleichzeitig auch die Mythenhalde – das wird oft benutzt als Erlösungsmoment. Erlösung ist aber letzten Endes gar nicht notwendig – jetzt ganz ohne Fatalismus. Die Unerlösbarkeit ist das Thema. Die ganzen Erlöser sind ja alle abgehauen, und wir dürfen jetzt den riesigen Formelkasten entschlüsseln, den sie hinterlassen haben.

Der Animatograph nimmt große Teile des Zuschauerraums ein. Wie kann man sich diesen riesigen, aus vier Drehbühnen bestehenden Apparat vorstellen? Und wie verläuft inhaltlich die Schnittstelle zwischen Richard Wagner, Johann Sebastian Bach und den Nachkriegs-Künstlern Joseph Beuys bzw. Dieter Roth?

Schlingensief: Die Expedition beginnt im Götterzentrum Asgard (Anm.: nach der nordischen Mythologie), geht weiter mit einer Bayreuth-Installation, oder besser „Beuysreuth/Roth“-Installation, das ist das Geburtszimmer, wo die Mythenlegende beginnt. Dann gibt’s das Steigenberger-Restaurant, wo die Mythen besprochen werden, dann landen wir im Mausoleum, dahinter gibt’s die Umlaufblende mit dem Text von Elfriede Jelinek in Litaneiform und mit Patti Smith, die auch Teil einer Matthäuspassionsszene ist, die wir in Afrika gedreht haben.

Diese führt dann wiederum in einen hinteren Teil, der zu einem Kreuzweg weiterführt – so eine Art Labyrinth, jedes Kreuz ein Formelkasten. Schließlich kommen wir zu einem Schiff in Afrika, das ich aus Namibia mitgebracht habe. Ich muss dazu sagen, dass das, was ich hier zeige, kein Endprodukt ist – nur die Vorarbeit zu einem nächsten Projekt. Das ist der Fliegende Holländer, der Unerlösbare, der Sterben-Wollende: ein Bild für einen Gott, der in seiner Allmächtigkeit eines nicht kann, nämlich sterben. Da schließt sich der Kreis zu Beuys‘ Mythenbildung. Das sehe ich als Schnittstelle.

Wie läuft der Abend ab?

Schlingensief: Ich hätte es sehr gerne gesehen, wenn das Burgtheater schon um 12 Uhr geöffnet hätte, dann wären die Spuren zwischen Theater und Museum von vornherein verwischt. Die Leute könnten reinkommen, wieder gehen und ein zweites oder drittes Mal kommen. Doch man kann vielleicht das Theater überwinden, nicht aber seine Verwaltung. So stehen jetzt halt 700 bis 800 Leute auf einmal im Raum. Die Zuschauer kriegen einen Plan, auf der Feststiege gibt’s eine Einführung von mir, und die Leute werden dann in die Installation entlassen, um ein Teil von ihr zu werden.

„AREA 7“ am Burgtheater funktioniert über einen doppelten Diskurs: die Zuschauer sind Beobachter und Beobachtete zugleich?

Schlingensief: Was wirklich interessant ist: wir haben Kameras, überall im Raum verteilt, und jeder, der reingeht, tritt automatisch seine Bildrechte ab, das heißt, er wird bei seinem Besuch gefilmt und fotografiert. Also: nicht ich überprüfe den Raum, sondern der Raum überprüft mich. Im Theater hat sich im Laufe der Zeit ein Monopol des Betrachters sowie ein Monopol des Regisseurs eingeschlichen. Ich will aber jetzt den Raum verlassen oder ihn als Energiefeld nutzen.

Nicht zuletzt hier wird die Arbeit politisch. Nicht nur der geschlossene Raum überprüft den Menschen, auch im öffentlichen Raum sind Kameras mittlerweile gang und gäbe.

Schlingensief: Ja, das ist wichtig. Die Installation ist politisch, aber auf keiner gutmenschlichen Schiene. Mich interessiert kein Neonazi-Kult rund um Odin, und auch Affen vor einem Hitler-Porträt brauche ich nicht, um meine Aversion gegen das Dritte Reich auszudrücken. Mich interessieren die Assoziationen, die ein Bild zu seiner Umgebung herstellt, das ist an sich ein politischer Akt.

Ich bin immer politisch tätig, da geht es um Selbstverantwortung. Wir halten es ja kaum mehr aus, einem anderen einmal Autonomie zuzusprechen, und zu sagen: okay, der erfährt sich gerade, der durchlebt gerade etwas. Das wäre super-wichtig. Fatalismus und Lethargie kommen eh von denen, die sich politisch nennen.

Ist das Ziel der Installation, Erfahrungen zu sammeln, Erkenntnisse zu schöpfen?

Schlingensief: Das ist eine von vielen Betrachtungsmöglichkeiten, da gibt’s kein Monopol.

Sie haben in Namibia auch einen Film gedreht, „The African Twin Towers“, der Animatograph selbst ist an den Kinematographen – eine frühe Form des Kinos – angelehnt. Welche Bedeutung hat für sie die Filmarbeit – auch auf der Bühne?

Schlingensief: Ich komme eigentlich vom Film her, ich wollte immer Filme machen. Ich habe drei Jahre lang bei Experimentalfilmen assistiert und habe lange nichts verstanden, bis es mich dann doch interessiert hat, wieso jemand stundenlang ein Hochhaus abfilmt. In Bayreuth kam dieser Drehmechanismus zustande und damit die Grundidee des Animatographen.

Da entsteht eine Fläche, die alle Aktionen – Musik, Oper, Theater, Film, Aktion – zusammenbringt. Durch die Drehung schneidet die Maschine den Film selber. Die Filme laufen in- und auseinander. Von dem in Afrika gedrehten Film habe ich 180 Stunden Material – unschneidbar. Die Cutterinnen haben schon reihenweise aufgegeben. Aber von dem Material werden auf jeden Fall Ausschnitte in komprimierter Form im Loop zu sehen sein.

Sie arbeiten u.a. mit einem Text von Elfriede Jelinek. Wie kann man sich diese Zusammenarbeit vorstellen, oder auch jene mit Patti Smith?

Schlingensief: Wir haben uns während des Afrika-Drehs ab und zu E-Mails geschickt und den Text erweitert, oder sie hat ein Musikstück von mir genommen und davon weiter assoziiert, z.B. von Mahler „Ich bin der Welt abhanden gekommen“. Was uns alle betrifft, kann ich mir gut vorstellen, dass es immer wieder Schilderungen gibt, dass wir alle hochgradig komplizierte und neurotische Persönlichkeiten sind. Ich kann aber sowieso nur mit Leuten umgehen, die autonom ihr eigenes Ding machen.

Elfriede Jelinek schreibt Texte, die als Litanei funktionieren. Wenn sie das vorgelesen hat, dann war da immer eine Melodie drin. Mit ihr ist das toll, weil es so unkompliziert ist. Und Patti Smith hab ich in Bayreuth vorgestellt bekommen, der Kontakt ist ganz friedlich, frei und unverkrampft. Sie freut sich riesig zu kommen, wir freuen uns riesig. Und über sie weiß jetzt Bob Dylan auch schon von uns… (lacht)

In letzter Zeit war des öfteren davon die Rede, Christoph Schlingensief habe sich „vom Provokateur zum ernstzunehmenden Regisseur“ gewandelt. Was meinen Sie dazu?

Schlingensief: Provokateur ist ein Begriff, der kommt immer wieder, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Er wird mir interessanterweise immer von denjenigen vorgehalten, die dann andererseits kritisieren, dass ich keine Straßenaktionen mehr veranstalte oder dass ich Bayreuth nicht abgerissen habe. Ob man mich jetzt Regisseur nennt oder sonstwie ist wieder eine andere Diskussion. Die Meinungsmonopolisten – gerade die deutschen – haben zur Kenntnis nehmen müssen, dass ich jetzt auch im Ausland unterwegs bin und Deutschland nicht zwangsläufig brauche. Ich genieße Länder, in denen man weder Herrn Kohl noch Herrn Schüssel oder Herrn Haider kennt.