Noch eine Biennale? Und wieder in Kreuzberg? Sind die Künstler endgültig auf den Kreuzberg-Trip gekommen und bringen den Bezirk geradlinig auf Kunst- und damit Gentrifizierungskurs, wenn hier nun zeitgleich zur großen „Berlin Biennale“ eine von Künstlern organisierte „Kreuzberg Biennale“ rund ums Kottbusser Tor stattfindet?
Gemach. Es stimmt zwar: Soeben haben die „6. Berlin Biennale“ und der Umzug des Künstlerhauses Bethanien in die Kottbusser Straße das ehemalige SO 36 für die zeitgenössische Kunst – erneut – erschlossen. Teile der autonomen Szene haben dies zum Anlass genommen, die Kunstszene zu einem abermals neuen Feindbild zu erklären. Ihre Annahme haben sie mit denunzierenden Plakaten und einem zerstörerischen Einbruch ins Sekretariat des alten Künstlerhauses Bethanien am Mariannenplatz ausgelebt. Und ebenfalls stimmt: Parallel zu diesen Geschehnissen gibt es eine „Kreuzberg Biennale“, zumindest in diesem Jahr und zumindest bis Ende Juli. Ob all diese Ereignisse aber die Macht besitzen, das gewachsene Biotop Kreuzberg nachhaltig zu verändern, muss doch stark bezweifelt werden. Wenn es für diese Entwicklung Verantwortliche gibt, sind sie im Immobiliensektor und im Senat zu suchen.
Was aber ist die „Kreuzberg Biennale“? An rund 40 Orten nördlich und südlich der Skalitzer Straße haben Künstler kleinere und größere Arbeiten platziert, in Schaufenstern und Verkaufsregalen, in Hinterhöfen und Durchgängen, auf Wänden, Baustellen, an Brunnen und sogar im Gebüsch. Wer sucht, kann kleine installative Eingriffe in den Alltag finden, Videos an ungewöhnlichen Plätzen anschauen, sich über witzige Korrespondenzen zwischen Kunst, Ort und Leben freuen und auch über manche Banalität ärgern. Ein Übersichtsplan und ein Werkverzeichnis stehen im Internet. Am Ende der Biennale soll eine Publikation erscheinen, in der die Künstler und ihre Gastgeber zu Wort kommen – Ladeninhaber, Kneipenwirte, Imbissbudenbesitzer. Das Ganze wirkt weniger wie ein Generalangriff auf das Viertel und seine Bewohner, sondern mehr wie eine lebendige Hommage auf die Vielfalt und Einzigartigkeit des Stadtteils. Und auf eine Umgebung, in der sich Künstler wohl fühlen.
Hinter der „Kreuzberg Biennale“ stehen der Künstler Tjorg Douglas Beer und seine Kollegen, die in der Boppstraße die Kneipengalerie The Forgotten Bar betreiben. Ein Ort, an dem das Schnelle, Spontane, Unperfekte herrscht, Merkmale also, die auch die Besucher der „Kreuzberg Biennale“ im Hinterkopf haben sollten. Etwa, wenn sie den Oranienplatz nach den Sprühlabels „1 Jahr Garantie“ von Daniel Knorr absuchen, mit denen der Berliner Künstler symbolisch eine zeitlich begrenzte Gewähr für die Unantastbarkeit des öffentlichen Raums bietet. Oder wenn sie sich durch Staub und Schutt auf die Baustelle eines Hinterhofs in der Oranienstraße tasten, wo Raul Walch den ersten und einzigen Hinterhof-Springbrunnen von Kreuzberg installiert haben soll (ist leider manchmal abgestellt). „Wir empfehlen immer, dass man sich einer geführten Tour anschließt, weil man sonst Gefahr läuft, die eine oder andere Arbeit nicht zu finden“, sagt Tjorg Douglas Beer. Beer, der Ideengeber der „Kreuzberg Biennale“, einer „absoluten Null-Budget-Veranstaltung“, führt Interessierte zu den Arbeiten und beantwortet auch am Handy Fragen von Besuchern und Suchern der „Kreuzberg Biennale“.
Die Orte für ihre Arbeiten haben sich die beteiligten Künstler in der Regel selbst ausgesucht. So verwandelt Raul Walch einen Stromkasten an der Kreuzung Oranien-/ Ecke Adalbertstraße in eine „Corner Bar“ mit wechselnden Öffnungszeiten. Malte Urbschat hat an einer Wand des Kopiergeschäfts Trigger Copy Bilder von Sheriffs und Cops platziert, mitten zwischen die Plakate, Poster, Nachrichten und Verkaufsanzeigen, die hier die Wände bedecken. Trine Bork-Kristensen zeigt im Schaufenster einer Klempnerei ihr Video „Beyond the Pale“, das einen Wasserstrahl in einem Waschbecken in ein nahezu abstraktes Lichtspiel verwandelt. Der kleine Bildschirm steht gleich neben elektrischen Kochplatten, die gerade einmal 39 Euro das Stück kosten. Im Stehcafé Schönlein Bäckerei schalten die Verkäuferinnen auf Wunsch das Video „Die Jagd“ an, in dem Christian Jankowski mit Pfeil und Bogen Waren im Supermarkt erbeutet – und anschließend ganz brav an der Kasse bezahlt.
Eine einzige kuratierte Station gibt es auf diesem Rundgang. Bei „Aquarien Meyer“ am Kottbusser Tor hat die freie Kuratorin Anna-Catharina Gebbers einen Bildschirm ins Regal gestellt, auf dem eine kleine Schau mit Tierfilmen von Christoph Schlingensief läuft. Während die stickige Luft nach Katzenstreu müffelt und ein junger Mann gerade Guppys aus einem Aquarium fischt, können die Besucher einen Hasenkadaver studieren, den Maden im Zeitraffer zerlegen. In solchen Momenten hat die „Kreuzberg Biennale“ gewonnen. Und Angst vor einer solchen Kunst muss niemand haben.
Bis 31.7.: verschiedene Orte in Kreuzberg.
Infos zu Führungen unter Tel: 0178 – 294 26 75 oder per Mail:
info@berlin-kreuzberg-biennale.org.
www.berlin-kreuzberg-biennale.org
Quelle: zitty Berlin, 12.07.2010