EIN OPERNHAUS FÜR BURKINA FASO (DEUTSCHLAND ONLINE)

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Als ein Fenster, durch das Europa Afrika besser verstehen kann, ist es gedacht: Mit ihrem Operndorf in Burkina Faso planen der Regisseur Christoph Schlingensief und der Architekt Francis Kéré ein außergewöhnliches Entwicklungsprojekt

Von Andrea Jeska

Die Grundsteinlegung seines Kulturprojekts ließ er von Goethe begleiten. Als geistigen Vater dieses Moments, der vielleicht einer der größten, intensivsten im Leben des bekannten deutschen Theater- und Opernregisseurs, Filmemachers und Aktionskünstlers Christoph Schlingensief (49) war. „Verweile doch, du bist so schön“, rief er mit den Worten des berühmten deutschen Dichters dem Augenblick zu, der dennoch verging, sich über die Savanne davon stahl, dem afrikanischen Horizont entgegen.

Ein fast leeres Fleckchen Erde, 5 Hektar groß, im westafrikanischen Burkina Faso: 14 Häuptlinge, ein paar hundert Zuschauer aus den Dörfern waren an diesem 8. Februar gekommen.Und es wehte der Wind durch Affenbrotbäume, als mit dem Unternehmen begonnen wurde, was Christoph Schlingensiefs Festspielhaus Afrika werden soll.

Nüchtern beschrieben, ist diese Geschichte flott erzählt. Ein charismatischer Künstler wird todkrank, bäumt sich, denkt, träumt, lässt Sehnsüchte und Visionen noch einmal groß werden. Die Kunst neu erfinden – für die Kunst selber, aber auch als eigene Auferstehung. Die Idee entsteht: ein Festspielhaus für Afrika. Im Juni 2009 macht Schlingensief sich auf die Reise, besucht Kamerun und Tansania. Die Landschaft, die der sucht, findet er in Burkina Faso, im Dorf Laongo, rund eine Stunde von der Hauptstadt Ouagadougou entfernt. Den Mann, den er sucht, um der Idee die Form zu geben, die afrikanische Leichtigkeit, Licht mit einbezieht, findet er in Francis Kéré, einem preisgekrönten Architekten aus Burkina Faso, der in Berlin lebt. Gemeinsam träumen, planen sie: Eine Oper, eine Schule, in der 500 Kinder unterrichtet werden sollen – unter anderem in Klassen für Film und Musik. Eine Krankenstation. Werkstätten. Ein Gästehaus. Ein Gebäude wie eine Schnecke, aus seiner Mitte heraus nach außen wachsend, geformt aus der Erde Burkina Fasos, aus dem, was das Land hergibt. Ein Dorf soll es werden, ein ganzes Operndorf, gefüllt mit afrikanischem Leben und mit Musik. Das ist die Gegenwart. Aber auch mit Bildung, Erziehung, das ist die Zukunft. Die Oper als Symbol europäischer Tradition, das Dorf als Inbegriff der afrikanischen Gemeinschaft.

Falsche Vorstellungen von seinem Projekt korrigiert Schlingensief: Er wolle in Afrika keine zweiten Bayreuther Richard-Wagner-Festspiele schaffen. Vielmehr versteht er sein Ansinnen als Unterstützung für die einheimischen kulturellen Kräfte. Eine Idee, die in Filippe Savadogo, Kulturminister von Burkina Faso, einen Befürworter findet. „Das Operndorf von Laongo wird den Jugendlichen die Chance geben, ihre Talente in einer günstigen Umgebung zu entdecken und zu entwickeln. Es wird ein Ort der Begegnung der europäischen und afrikanischen Kulturen werden, sogar der Kulturen der Welt“, schreibt Savadogo in der Wochenzeitung „Die Zeit“.

Laongo ist in Burkina Faso keine unbekannte Gegend. Ein Skulpturenpark steht dort. Auch Festspiele sind Burkina Faso nicht fremd. Seit 1969 gibt es die panafrikanischen Filmfestspiele Ouagadougou, in Afrika und in den ehemaligen kolonialen Mutterländern ein Begriff. Burkina Faso ist das Zentrum des afrikanischen Theaters. Auch die Ornamente und Muster, mit denen die Frauen die Wände der Hütten verzieren, gelten international als große Kunst.

Man müsse von Afrika lernen. Die Reinheit des Lebens und der Kunst vereinten sich in seinem Projekt. Solche Sätze sagt Schlingensief. Und auch, dass seine Idee der Kunst hier zugleich Entwicklungshilfe ist. Schlingensiefs Begeisterung ersetzt das dunkle Bild des kriegerischen Afrikas durch die helle Hoffnung einer weltumfassenden Kultur. Zudem holt er andere ins Boot: Den Bundespräsidenten als geistig-moralischen Unterstützer. Privatspender wie der schwedische Autor Henning Mankell, der deutsche Hollywood-Regisseur Roland Emmerich und Musiker Herbert Grönemeyer, aber auch viele Kleinspender, sammeln 220000 Euro. Das Auswärtige Amt gibt eine Viertel Million Euro, die Kulturstiftung des Bundes und das Goethe-Institut spenden ebenfalls. Und so sind inzwischen mehr als eine Million Euro zusammengekommen, um die bisherigen Ideen zu verwirklichen.

„Es ist eine Improvisation“, sagt Francis Kéré über den Bau. „Wir werden immer weiter bauen, nichts ist linear, das würde auch nicht zu Afrika passen. In Afrika ist das ganze Leben eine Improvisation.“ Kéré rechnet damit, das Festspielhaus noch in diesem Jahr „betriebsbereit“ zu haben. Für ihn ist das Festspielhaus Mittelpunkt seines Schaffens geworden. „Ja, wir brauchen dieses Haus. Es ist ein Fenster, durch welches Europa Afrika verstehen kann. In diesem Gebäude sammeln und bündeln wir ja nur, was bereits vorhanden ist, und wir zeigen es dem Westen. Und bereits jetzt multipliziert sich alles. Wir haben einen Sponsor für eine Musikschule, wir haben auch afrikanische Firmen, die helfen und spenden wollen. Die Dynamik, die sich entfaltet, das kann man sich gar nicht vorstellen.“ Und darüber hinaus schaffe das Projekt Arbeitsplätze. „Wir haben 40 Leute angelernt. Auf der Baustelle ist bereits ein kleiner Markt entstanden, Leute kommen von weiter her, um zu sehen, was geschieht.“

Die ersten Aufführungen plant Schlingensief bereits. Die Idee lebt von seiner Ausstrahlung, das Projekt aber ist finanziell gesichert, wird auch ohne ihn weiter geführt. Und so wird die sichtbare Spur des Regisseurs bleiben, jener Augenblick, der zu schön ist, um zu vergehen.

Quelle: Deutschland Online vom 26.02.10