Den deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig 2011 kuratiert Susanne Gaensheimer, die sich mit Christoph Schlingensief einen performativen Künstler eingeladen hat. Das stieß auch auf Kritik – ein Gespräch
MAX GLAUNER: Susanne Gaensheimer, Sie sind zur Kommissarin des deutschen Pavillons bei der 54. Biennale von Venedig 2011 ernannt worden, der wichtigsten internationalen Leistungsschau zeitgenössischer Kunst. Nach Christa Kühne, die 1986 den DDR-Beitrag kuratierte und Gudrun Inboden 1997 und 1999 sind Sie erst die dritte Frau in diesem Amt. Wie wird man Kommissarin des deutschen Pavillons?
SUSANNE GAENSHEIMER: Man wird von der Kunstkommission des Auswärtigen Amtes vorgeschlagen und dann vom Außenminister berufen, und ich freue mich sehr darüber. Venedig ist eine ganz wunderbare Aufgabe und eine große Herausforderung, die sich doch sehr von den täglichen Aufgaben im Museum unterscheidet.
MG: Ihr Vorgänger am Frankfurter Museum für Moderne Kunst Udo Kittelmann, heute Direktor der Berliner Nationalgalerie, durfte zeitnah mit seinem Amtsantritt in Frankfurt wie Sie den deutschen Pavillon kuratieren. Ist es richtig, dass man mit der Übernahme des MMK automatisch auch die Venedigbiennale bespielen darf?
GAENSHEIMER (lacht) Mit der Leitung des MMK werden die Chancen für Venedig offensichtlich nicht geringer. Allerdings sind die Ernennungen von mir und Kittelmann zu Beginn unserer Frankfurter Zeit rein zufällig.
MG: Vielleicht doch nicht ganz zufällig: Das MMK wurde als erstes bundesrepublikanisches Haus allein der zeitgenössischen Kunst gewidmet. Kann man von seinen Direktoren nicht eine gewisse Kenntnis der Szene erwarten?
GAENSHEIMER: Sicher, das MMK war eines der ersten Museen für Gegenwartskunst und ist heute immer noch international sehr anerkannt. Schon zu meiner Studienzeit in München und Hamburg Anfang der 90er Jahre, war das MMK für mich ein erstes Reiseziel. Aber es gibt noch eine Reihe ebenso kompetenter Institutionen der Gegenwartskunst mit ebenso kompetenten Leiterinnen und Leitern in Deutschland. mg Sie haben über Bruce Nauman promoviert, einem Künstler, der den Körper, Bewegung und Performance, zu einem wesentlichen Aspekt seiner skulpturalen Arbeit erklärt. gaensheimer Ja, das ist richtig. Bruce Nauman halte ich unter anderem auch darum für eine der herausragenden Künstlerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts.
MG: In Ihrem ersten Jahr am MMK vermisst man allerdings performative Positionen.
GAENSHEIMER: Das ist so nicht ganz richtig. Bei Jack Goldstein, von dem wir im letzten Jahr eine große Retrospektive gezeigt haben, spielt die Performance eine wichtige Rolle. Ende September werden wir mit «Not in Fashion» eine Ausstellung über Mode und Fotografie in den frühen 90er Jahren zeigen, wo die Inszenierung, die Bewegung und das Experiment eine enorme Rolle spielen. So wird die Performancekünstlerin Vanessa Beecroft hier eine Arbeit zeigen. Und für 2011 planen wir eine Retrospektive von Felix Gonzalez Torres, die von dem Performance-Künstler Tino Sehgal co-kuratiert wird.
— Ein Skandal?
MG: Nun haben Sie sich mit der Nominierung von Christoph Schlingensief neben Lob auch viel Ärger eingehandelt. Der derzeit vielleicht renommierteste deutsche Künstler, der Maler Gerhard Richter, spricht von einem Skandal. Haben Sie mit diesem Gegenwind gerechnet?
GAENSHEIMER: Ich schätze Gerhard Richter als einen der wichtigsten Künstler der Gegenwart sehr, doch ich bin nicht seiner Meinung. Mit Christoph Schlingensief habe ich mich ganz bewusst für einen Künstler entschieden, der nicht nur inhaltlich, sondern auch formal Grenzen überschreitet. In Bezug auf den Pavillon halte ich dies für einen sehr wichtigen Aspekt. In diesem Sinne freue ich mich auf eine konstruktive und auch kritische Diskussion.
MG: Wie sind Sie auf Schlingensief gekommen?
GAENSHEIMER: Ich kannte ihn nicht persönlich, aber ich kannte natürlich viele seiner Arbeiten. In meiner ersten Münchner Zeit habe ich mich viel mit seinen Filmen beschäftigt. Im Rahmen von Hans-Ulrich Obrists Venedigbiennale-Projekt «Utopia Station» hat mich seine «Church of Fear» stark beeindruckt. Bei Schlingensief steht immer ein politisches oder gesellschaftliches Anliegen im Vordergrund. Das hat Kraft und Authentizität und bezieht sich explizit auf die spezifische Situation. Das findet man im etablierten Kunstbetrieb selten. Nach einer sehr intensiven Beschäftigung mit der Frage der Künstlerwahl habe ich ihn dann getroffen, und wir haben uns lange unterhalten. Da war für mich die Entscheidung vollkommen klar.
MG: Richter moniert, dass man einen Performer nehme, obwohl Deutschland tausende Künstler habe. Sehen Sie diesen Gegensatz: Performer auf der einen Seite und Künstler auf der anderen?
GAENSHEIMER: Nein, natürlich nicht, denn er impliziert ja, dass jemand, der seinen Ausdruck im Performancebereich oder im Theater sucht, kein Künstler ist. Ich kann nicht glauben, dass Gerhard Richter das so gemeint hat. Ich sehe diese Gattungsschranken nicht. Die Moderne lebt doch gerade davon, dass Gattungsgrenzen thematisiert, hinterfragt und überwunden werden. Performative Momente haben die Avantgarden von Anbeginn bestimmt. Denken Sie nur an DADA, die Fluxusbewegung oder Künstler wie Bruce Nauman. Das kann man nicht ignorieren.
MG: Ihre Haltung wird von konservativeren Kollegen nicht unbedingt geteilt. Sie befürchten eine Verwässerung eindrücklicher Kunstwerke. Was sagen Sie denen?
— Der inhaltliche Ansatz
GAENSHEIMER: Ich bin gegen die Monumentalisierung von Ideen oder Werken und habe nie in formalen Kategorien gearbeitet. Für mich zählt der inhaltliche Ansatz eines Kunstwerks, ganz gleich, in welchem Medium er ausgeführt wird. Wenn Sie mit Gegenwartskunst arbeiten, müssen Sie offen sein, von der Situation her denken und nicht von vornherein eine Richtung oder Tendenz ausschließen, die am Ende produktiv sein kann.
MG: Es gibt gegenwärtig eine Tendenz in der Kunst zur Inszenierung, zum Bühnenbild und zum Theater. Das dänische Künstlerduo Elmgreen & Dragset schrieben 2009 gleich den dänischen und nordischen Pavillon zum Verkauf aus und ließen das Publikum von zwei professionellen Schauspielern in der Rolle von Maklern durch die Ausstellung führen. Springen Sie da mit Schlingensief nicht auf einen modischen Zug auf?
GAENSHEIMER: Nein, sicher nicht. Bei Elmgreen & Dragset handelte es sich doch vorrangig um einen Kommentar innerhalb des Kunstbetriebs. Bei Christoph Schlingensief geht es mir gar nicht primär um den performativen Charakter seiner Arbeit, sondern um deren gesellschaftliche Dimension. Natürlich kennen die meisten Schlingensief als einen Autorenfilmer und Theatermann, aber er ist darauf nicht festzulegen. Das Spannende an seiner Arbeit ist, dass er die verschiedensten Medien bedient und dabei ein klares soziales und politisches Engagement in den Vordergrund stellt.
MG: An wen soll sich der deutsche Pavillon richten?
GAENSHEIMER: An ein heterogenes, interessiertes und offenes Publikum, also nicht an ein reines Fachpublikum. Bis zum Ende der Biennale im November kommt eine Vielzahl unterschiedlichster Leute, neugierige Besucher ebenso wie Schulklassen und unzählige Touristen, die zum ersten Mal mit Gegenwartskunst konfrontiert werden. Christoph Schlingensiefs Arbeit wird sich sicherlich an alle richten, und man wird mit allen Sinnen gefordert sein.
MG: Ist mit Schlingensief ein umfassendes Erlebnis, ein synästhetisches Mini-Bayreuth in Venedig zu erwarten?
GAENSHEIMER: Ja und nein. Von der Idee des Umfassenden her sicherlich ja, und auch von der Idee der Inszenierung. Aber ich könnte mir statt Bayreuth auch gut Afrika in Venedig vorstellen, respektive das Operndorf aus Burkina Fasos Hauptstadt Ouagadougou. Aber das wird sich alles erst in der nächsten Zeit zeigen.
— Transformation des Nationalen
MG: Am deutschen Pavillon – ein Umbau aus der NS-Zeit – hat sich viel Kritik festgemacht. Erwarten Sie von Schlingensief und seinem Afrika-Engagement eine neuerliche Transformation des Nationalen?
GAENSHEIMER: Ja, aber wie Christoph Schlingensief bereits in einem Interview gesagt hat: Es wird keine Provokation mit Hakenkreuz und Naziparolen geben. Eine Auseinandersetzung mit dieser Vergangenheit hat es in Venedig ja bereits auf sehr hohem Niveau gegeben – denken Sie an Hans Haackes «Germania»-Installation. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass man von der ideologischen Besetzung dieses Gebäudes wegkommt, da kommen wir heute nicht mehr weiter. Die deutsche Geschichte hört ja nicht nach dem Zweiten Weltkrieg auf. Wichtig ist, dass man einerseits davon ausgeht, was da ist: der deutsche Pavillon, seine architektonische Gestalt, seine Geschichte und Aus Stellungschronik, und natürlich seine Aufgabe, Deutschland zu repräsentieren. Aber man muss dann einen Schritt weiter gehen und die rein nationale Perspektive verlassen, man muss transnational denken.
MG: Sie erwarten mit Schlingensief den Schritt vom Nationalen zum Globalen?
GAENSHEIMER: Ja, wenn Sie so wollen. Darum interessiert mich ja auch Schlingensiefs Afrika- Projekt sehr. Damit und auch mit seinen Inszenierungen wie «Via Intolleranza II» ist es ihm hervorragend gelungen, entscheidende Fragen an uns zu stellen, die uns zwar in unserem «Deutsch-Sein» unmittelbar betreffen, jedoch aus einer rein nationalen Befindlichkeitsperspektive hinausführen: «Wie können wir Afrika helfen, wenn wir uns nicht einmal selbst helfen können?» Es bringt uns ja nichts, uns immer innerhalb der eigenen Grenzen zu bewegen. Weder ästhetisch noch politisch.
Quelle: THEATER HEUTE #7, Juli 2010
Foto: Benjamin Stöss, dpa