„Keine Trauerparty“

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Die Stiftung Mozarteum hat Christoph Schlingensief eingeladen, um zum Auftakt ihrer in diesem Jahr erstmals durchgeführten „Dialoge“-Reihe (im Mozarteum) über „Kunst Kraft Religion“ zu sprechen. Mit den Salzburger Nachrichten sprach Schlingensief ausgiebig über seine Zeit als Meßdiener, verlorene Bilder, den Verrat an der Oper und den Gemischtwarenladen Salzburg.

Salzburger Nachrichten, 01.12.2005.

Berhard Flieher (SN): Die Punkrock-Ikone Patti Smith, mit der Sie kürzlich in Namibia gearbeitet haben, sang auf ihrem ersten Album „Horses“ 1975 die Zeile: „Jesus died for somebody’s sins but not for mine.“ Gilt das auch für Sie?

Schlingensief: Jesus war für mich immer eine angreifbare Persönlichkeit. Ich hab ihn als Schwächling begriffen, der hilflos am Kreuz hängt und jammert, daß er verlassen worden ist. Ich meine: Er ist Gottes Sohn! Er bräuchte ihn doch nur anzurufen und Papa würde ihm schon helfen. Das aber ist die Schizophrenie bei Jesus und überhaupt beim Gottesbegriff, daß immer die Rede von Allmächtigkeit ist. Ich fände es sinnvoller, wenn die Kirche hinginge und sagte, die Schwäche Gottes ist seine Stärke, weil er ja aus mir gemacht wurde. Gott ist allmächtig? Gott kann nicht sterben! Ich aber kann sterben. Deshalb braucht Gott mich!

…und wir sind laut christlicher Theologie bekanntermaßen voller Sünden, die ja auch Mittel sind Angst zu erzeugen und sie durch den Glauben wieder zu nehmen. Angst veranlaßte Sie einst sogar eine eigene Kirche zu gründen, die Church of Fear.

Die Church of Fear wurde von neun Leuten gegründet, nicht von mir alleine. Als wir die Kirche am 20. März 2003 ins Leben riefen, stellte sich die Gründung binnen kürzester Zeit als genau der richtige Schritt heraus, denn anderthalb Stunden später ging der Einmarsch der US-Truppen im Irak über die Sender. Bush hatte seinen Gotteskrieg eröffnet. Unsere Angst gerät immer an Mächtige und Institutionen, die diese Angst nehmen, um vermeintlich Gutes zu tun, damit die Angst vergeht. Aber meine Angst gehört mir. Das ist ein zentraler Satz der Church of Fear. Es gibt ein Grundrecht auf Angst, ein Recht, seine Angst zu behalten, denn sie ist eine produktive Kraft. Angst empfinde ich schon lange, bevor mir irgend jemand diese Angst überhaupt beigebracht hat, oder ich ihre Mechanismen lernen konnte. Das ist meine Form von Autonomie, die man untrennbar mit dem Angstbegriff verbinden sollte. Das geht aber nicht mehr, weil Angst permanent funktionalisiert wird.

Sie waren einst fleißiger Kirchgeher. Wie bestimmt oder bestimmte denn Religion Ihr Leben?

Schlingensief: Ich war Kirchgänger mit allem was dazugehört: Meßdiener, Lektor, Kirchenchor – teilweise passierte das zwanghaft, teilweise aus Überzeugung. Mittlerweile habe ich mich aus dem Kirchenraum verabschiedet, zahle aber Kirchensteuer. Ich gönne diese doch verhältnismäßig gottlose Einrichtung auch jedem Menschen, wenn er sich keine eigene Kirche leisten kann. Und ich kann auch nicht ausschließen, dass ich das selbst wieder mal brauche. Das ist mein Glaube an die Transformation Gottes oder besser gesagt, die Abschaffung der Zentralperspektive innerhalb meines Glaubens.

Über den Begriff Religion sind wir jetzt schnell bei „der Kirche“ gelandet“…

Schlingensief: Verlorene Bilder sind die Grundvoraussetzung für Glauben, sprich Religion. Das ist der Gedanke einer „grenzenlosen“ Kirche. Verlorene Bilder, das nicht Greifbare, all diese Ungewißheit erzeugt Religion und Glaube. Und genau die kann ich für mich nutzen. Das ist mein Entwicklungslabor. Da zeigen sich Bilder in Doppel– und Mehrfachbelichtung. Was meinen sie wohl was im Tabernakel los ist, wenn der Deckel zugeht?

Welche Rolle spielen solche Bilder – oder die Suche nach Ihnen – in Ihrer Arbeit?

Schlingensief: Ich habe da eine Eigenart, einen Gendefekt: Bilder – etwa in der Oper – begreife ich immer in der Totalen und nicht als Bilder „zur“ Musik! Es fällt mir äußerst schwer, nur ein Element herauszugreifen und das als Beleg für das Ganze zu nehmen. So entsteht bei mir ein Fluß, der genau wie in der Musik Richard Wagners das einzelne Motiv auf die gleiche Ebene wie das gesamte Musikstück stellt. Nur in diesem Fluß aus Kälte– und Wärmebildern stellen sich metaphysische Momente ein, die keinen Sinn im Sinne von „sinnvoll“ ergeben müssen. Oder wie Luhmann sagt: “Die Einführung der Figur des Beobachters ist eine Revolutionierung der musikalischen Metaphysik, aber nur wenn man dabei an das denkt, was über die Physik hinausgeht“. Ich gestalte ein sinnliches Bildererlebnis und keines, bei dem es darum geht, definitiv verstanden werden zu müssen oder gar Heil anzubieten.

Diese Suche nach Bildern treibt Sie neuerdings weit hinaus – zuletzt bis Namibia. Nicht einmal zum Wahlkampf in Deutschland haben Sie Stellung bezogen.

Schlingensief: Im Gegensatz zum völlig verstummten Kulturbetrieb habe ich meine Meinung gesagt. Wenn man in Deutschland allerdings auf die Suche geht, wird das ohnehin gleich als Belästigung empfunden. Ich empfinde Deutschland im Moment als sehr langweilig. Durch den „Parsifal“ in Bayreuth haben sich mir einige Türen ins Ausland geöffnet. Dort tanke ich auf und wenn ich viel Glück habe, komme ich mit einem Koffer voller Insekten zurück. Die interessieren zwar in Deutschland keinen, ich aber habe ich es mit ihrer Hilfe geschafft, eine eigene Systematik zu erzeugen und mich weiterzuentwickeln, mein persönlicher Schmetterlingseffekt.

Bei Ihrem Auftritt im Mozarteum werden Sie von ihren Projekten „nur“ erzählen. Warum tauchten Sie bisher noch nie mit einem Projekt auf der Bühne in Salzburg auf?

Schlingensief: Im Großen und Ganzen gibt es in Salzburg keine Chance für mich, etwas zu machen. Da sind Leute geparkt, die einer gewissen Lobby hörig sind. Um der in Salzburg sicher noch gängigen Voreingenommenheit gerecht zu werden, daß ich ein Provokateur sei, würde ich sagen, daß das, was in Salzburg als Provokation gilt, ein lauer Scherz ist. Die Oper, an der mir wahnsinnig viel liegt, ist nicht nur in Salzburg zu 80 Prozent verraten und verkauft. Da ist jede Aufrichtigkeit abhanden gekommen. Es geht nur noch darum, sich in einem Selbstbeweihräucherungszustand zu befriedigen. Die Festspiele sind – wie zum Beispiel auch die Ruhrtriennale – ein Gemischtwarenladen, mit immer denselben Namen, den immer gleichen Seilschaften und Kulturmanagern, denen das Geld aus den Ohren kommt. An einem wirklichen künstlerischen Fortschritt ist hier keiner interessiert. Ich könnte hier eine handwerklich gute Arbeit abliefern, aber das Arbeiten liefe halt anstrengender ab als die routinierten und einbetonierten Opernpakete, die man sehr oft sieht. Und was die Unterstellung betrifft, ich würde alles auf den Kopf stellen – da kann ich auf Bayreuth verweisen. Jetzt sind wir schon bald im dritten Jahr, und das vierte wird auch noch kommen. Die Störenfriede haben sich zurückgezogen. Jetzt quälen sie andere.

Sie reden jetzt von den Festspielen. Aber Sie könnten doch – etwa im bald anbrechenden Mozartjubeljahr – auch selbst was auf die Beine stellen.

Schlingensief: Ich halte gar nichts von Gedenkfeiern! Gerade Mozart kommt einem ja sowieso irgendwann entgegen, dafür brauche ich keine Trauerparty. Ich habe auch keinen Totenkalender um nachzusehen, wer nächstes Jahr stirbt und ob der Tote im Gedächtniskalender vorgesehen ist. Ich gehe auf den Friedhof, wann ich will. An diesen lukrativen Totenfesten findet keine Transformation statt, Transformation ist aber ein Hauptmotiv für mich. Ob nun Schiller in Deutschland oder Mozart hier – es wird nur ein Sargnagel mehr rein geklopft und die Geldmaschine läuft auf Hochtouren. Ich bin mir andererseits aber auch bewußt, daß ich mich zu solchen Fragen nur deshalb so laut äußern kann, weil ich momentan selbst in diesem Gedächtniskalender geführt werde. Ich habe das Glück, daß ich jetzt im Ausland Arbeiten machen kann, die sich durch die Arbeit in Bayreuth eröffnet haben. Ich komme aber auch gerne nach Salzburg zurück, wenn ich Rentner bin, so wie die andern. Dann mache ich den üblichen, sattsamen Scheiß und kriege trotzdem mein Geld dafür – und das nennt sich dann Bedeutung. Noch bin ich nicht so weit. Noch will ich was erleben.