Der Theater-, Film- und Opernregisseur Christoph Schlingensief will in Afrika ein Operndorf bauen. Ein Gespräch über Projekte, die anderen helfen und einem selbst, über Vermarktungsmätzchen in Bayreuth und über die Erwartungen an das Leben nach dem Tod.
Sie kommen morgen Abend ins Schauspielhaus Bochum, um aus dem Tagebuch zu lesen, das Sie in der akuten Phase ihrer Krebserkrankung geführt haben. Wieso tun Sie sich das an?
Schlingensief Wenn ich zuhause bleibe, geht meine Stimmung sehr schnell in den Keller. Dagegen motiviert es mich wahnsinnig, wenn ich abends auf die Bühne gehe. Ich fühle mich dann zwar manchmal bleischwer, aber das Publikum reagiert extrem gut. Ich lese fast keine Zeile aus dem Buch, sondern erzähle drei Stunden Geschichten aus dem Leben. Aber es gibt noch einen zweiten Grund für diese Lesereise: Ich sammle Geld für ein Operndorf in Afrika.
Was reizt Sie an Afrika?
Schlingensief Ich fühle mich dort einfach sehr, sehr wohl. Anfang des Jahres habe ich einige Reisen dorthin gemacht, das war schwer, weil ich da noch dünn war wie ein Strich. Aber inzwischen habe ich vier Kilo zugenommen und muss sagen, selbst wenn in Afrika die Sonne knallt, fühle ich mich dort besser als zuhause, wenn dort das Grübeln beginnt.
Schon im Januar soll der Bau des Operndorfes beginnen. Wie haben Sie das so schnell vorangebracht?
Schlingensief Dieses Projekt bringt sich selbst voran, weil wir auf den Architekten Francis Kéré gestoßen sind. Der hat in Berlin studiert und wollte in seiner Heimat Burkina Faso eine Schule bauen. Nun wird daraus ein ganzes Dorf mit Primärschule für 400 bis 500 Kinder samt integrierter Film-, Musikklasse, einem Theater, einem Gästehaus für Künstler, Lehrer, Besucher, einer Krankenstation. Die Leute bringen all das selbst voran, weil Kéré ihnen nicht einen Entwurf vorsetzt, sondern sie in die Planung einbezieht.
Sie schreiben im Krebstagebuch, dass es für Kranke sehr schwierig ist, mit dem Verlust ihrer Autonomie umzugehen. Ist dieses Projekt für Sie auch Rückgewinnung dieser Autonomie?
Schlingensief Ja, aber nur nebenbei. Afrika tut mir gut, weil ich dort sein kann, ohne die Öffentlichkeit fürchten zu müssen. In Berlin ist das anders. Außerdem habe ich Freude daran, dort mitbauen zu können. Das habe ich auch immer an Beuys bewundert: Der hat auch darauf geachtet, dass die Arbeit des anderen manchmal interessanter war als die eigene. Eine Grundbedingung fürs Lernen. Und deshalb heißt es bei diesem Projekt auch: von Afrika lernen!
Als Sie krank wurden, schreiben Sie auch, hätten Sie eine unglaubliche Distanz zu den Gesunden gespürt. Ist das immer noch so?
Schlingensief Ich spüre das immer in Wellen. Gerade ist es wieder so. Ich arbeite in Zürich an einer Theaterperformance mit René Pollesch, es sind viele Freunde hier, auch meine Frau Aino, also ist eigentlich alles optimal. Aber wenn ich beobachte, wie die anderen abends so ausgehen bis spät in die Nacht und am nächsten Tag wieder auf der Bühne stehen, dann bin ich manchmal schon neidisch auf deren Kraft. Und es kann sein, dass ich mich für meine Schwäche dann nicht mag. Andererseits bin ich in den Proben, glaube ich, so effektiv wie nie zuvor.
Warum gehen Sie mit Ihrer Krankheit so öffentlich um?
Schlingensief Mein Leben ist immer auch Teil der Arbeit gewesen. Meine engsten Freunde kennen mich auch anders, Gespräche, die ganz tief gehen, die gelangen nicht an die Öffentlichkeit, da zieh‘ ich schon eine Grenze. Und wenn ich höre, dass irgendwelche Kritiker meinen, wir Kranke sollten einfach unseren Mund halten, weil wir die Ruhe vorm Sterben stören, dann bin ich der Letzte, der seinen Mund hält. Es ist wichtig, darüber zu reden und nachzudenken.
Würden Sie nochmal in Bayreuth inszenieren?
Schlingensief Ja, aber die neue Politik dort, etwa das Public Viewing, gefällt mir gar nicht. Das Magengefühl, das man in Bayreuth, in diesem Klangkörper von Opernhaus, empfinden kann, ist einmalig, das kann man nicht übertragen. Und die ganzen Vermarktungsmätzchen und Geschichten rund um die Familie empfinde ich als mickrig.
Sie hadern in Ihrem Buch sehr mit der katholischen Kirche, warum?
Schlingensief Es ist für mich unglaublich, dass ich einer Kirche angehöre, die an einem Punkt, an dem ich wirklich auf Beistand gezählt habe, nicht geholfen hat. Ich dachte, wenn man fühlt, dass alles den Bach heruntergeht, dann sei die Kirche der richtige Ort, um sich zu fangen. Aber dort hat man mir nur einen Märchenpark präsentiert, Krippenfiguren, statt einen Gott, mit dem man auch streiten kann.
Was könnte Sie mit der Kirche versöhnen?
Schlingensief Der Traum muss sein, Gott nicht als bärtigen alten Mann zu präsentieren, der uns alle richten wird, sondern von der Liebe zu erzählen, die im Christentum steckt, und die uns allen Gelassenheit geben kann, selbst wenn man in einem so unglaublichen Vorgang wie einer Krebserkrankung steckt. Die Ewigkeit beginnt nicht erst mit dem Tod, sonst wäre sie ja begrenzt und nicht ewig. Das ist auch eine Beschreibung Gottes.
Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?
Schlingensief Ich könnte diese Welt nur schwer verlassen, wenn ich mir nicht vorstellen könnte, dass es danach noch etwas zu denken und zu arbeiten gibt. Ich will nicht der Verblödung im Paradies anheimfallen, sondern weiter gefordert sein. Diese Vorstellung brauche ich, um Christ zu sein.
Interview: DOROTHEE KRINGS, RP Online 23.11.2009