STEINMEIER TRIFFT SCHLINGENSIEF (FOCUS)

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Merkel-Herausforderer Frank-Walter Steinmeier nahm an einer Diskussion zum Thema „Politik und Privatheit“ teil und traf dort unter anderem Regisseur Christoph Schlingensief. Die beiden verstanden sich überraschend gut.

Für einen Kanzlerkandidaten macht es sich gut, auch als kulturell interessiert zu gelten. So kam Merkel-Herausforderer Frank-Walter Steinmeier am Samstagabend zu einer Diskussion unter dem Motto „Politik und Privatheit“ im Rahmen des Berliner Theatertreffens. Dort stieß der SPD-Politiker unter anderem auf Regisseur Christoph Schlingensief. Wie gut sich der unangepasste Theaterprovokateur und der diplomatische Außenminister verstanden, überraschte.

Steinmeier trifft Schlingensief

Der an Lungenkrebs erkrankte Schlingensief galt bislang als jemand, der die verkrusteten Strukturen, die Verlogenheit des politischen Betriebs angriff, wann immer sich die Möglichkeit dazu bot. Um diesen ad absurdum zu führen, gründete er unter anderem vor Jahren die Partei Chance 2000. Nun lobte der 48-Jährige den Polit-Profi Steinmeier: „So wie ich ihn kennengelernt habe, ist er ganz normal geblieben.“ Und spielte ihm dann mit der Frage den Ball zu, ob Steinmeier auch schon mal zugegeben habe, nicht mehr weiterzuwissen.
Die Chance, sich als ehrlicher Politiker zu gerieren, ließ sich der Vizekanzler nicht entgehen. Mit breitem Lächeln antwortete er, beispielsweise bereits im vergangenen Jahr darauf hingewiesen zu haben, nicht zu wissen, wann die Krise überwunden sein werde. „Im Moment machen wir Politik ohne Drehbuch.“

Die Bedeutung der Kultur für die Außenpolitik

Das gute Verhältnis der beiden geht auf ein gemeinsames Projekt zurück. Schlingensief hat seit langem den Traum, in Afrika ein Festivalhaus für afrikanische und Künstler von anderen Kontinenten zu erbauen. Das kostet viel Geld. Als Steinmeier von dem Festspielhaus hörte, war sein Interesse sofort erwacht. Schließlich wisse er von der Bedeutung von Kultur in der Außenpolitik, meinte er.

Man könne nicht davon ausgehen, dass europäische Philosophie und Denkhaltungen automatisch als Orientierung auch in der restlichen Welt gelten würden, sagte Steinmeier. Deswegen müsse man sich anstrengen, sich in der Welt verständlicher zu machen. Deswegen unterstütze er ein Projekt wie das von Schlingensief. Gemeinsam werde man sich angucken, wo die Idee am besten zu verwirklichen sei. Zur Auswahl stünden unter anderem Mozambique und Burkina Faso.

Privatheit nicht vollständig aufgeben

Zum eigentlichen Thema „Politik und Privatheit“ wusste Steinmeier aber auch noch etwas zu sagen. Seitdem er Kanzlerkandidat sei, nehme das Interesse an seiner Person stetig zu. Die Leute wollten wissen, woher er komme. „Da muss man schon Antworten geben, ohne die Privatheit vollständig preiszugeben.“ Natürlich sei er persönlich auch von Anschlägen wie vor wenigen Tagen während seines Besuchs in Afghanistan tief berührt. Aber er müsse funktionieren und bereits kurze Zeit später wieder auf Maikundgebungen sprechen. Das erwarte die Öffentlichkeit.

Auch dies ist ein Grund, warum Schlingensief eigentlich nicht viel von Politikern hält. Damals, als er seine Partei gegründet habe, habe er über alles reden können, obwohl er von vielem überhaupt keine Ahnung gehabt habe, sagte der Regisseur. Das habe ihm die Angst vor allem genommen. „Politiker können sich immer rausreden.“ Erst bei einem Besuch in Afrika nach der Wahl 2000 habe er wieder gelernt, was Angst bedeute – er habe beispielsweise Angst vorm „schwarzen Mann“. Auch dies sei ein Grund für den Bau eines Festspielhaus auf diesem Kontinent. Leute sollten dort sechs bis acht Wochen etwas Neues zu erfahren.

Privates könne durchaus politisch sein, meint Schlingensief. Sein Fluxus-Oratorium „Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“, das das 46. Theatertreffen am Wochenende eröffnete und seine Krebserkrankung thematisiert, sei politisch. Es stelle Fragen ans Gesundheitssystem, wann der Staat tatsächlich sozial sei, ob er nur organisiere oder auch die Möglichkeit gebe, „dass ich mich als Menschen mag“. Der Akt der Einsamkeit sei das Politischste, „was in unserer Gesellschaft stattfinden kann“. Der Rest sei Geschwätz.

Die Diskussion zeigt der ZDF-Theaterkanal am 7. Mai ab 21:10 Uhr sowie am 9. Mai ab 0:45 Uhr.

http://www.theaterkanal.de