Zum Auftakt der 46. Theatertreffens deutschsprachiger Bühnen ist am Freitag in Berlin Christoph Schlingensiefs Oratorium «Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir» gefeiert worden.
Die künstlerische Auseinandersetzung des 48-jährigen Regisseurs mit seinem eigenen Lungenkrebs wurde vom Publikum mit spürbarer Anteilnahme, kräftigem Schlussbeifall und vielen Bravo- Rufen aufgenommen.
Hortensia Völckers, Künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes, hatte das Theatertreffen (bis 18. Mai) unter dem Motto «Hier und jetzt» mit einer sehr persönlichen Rede an Schlingensief eröffnet. Er sei «Bewahrer eines Theaters der Wahrheit». Gerade in sozial und wirtschaftlich schwierigen Zeiten sei das Theater als «menschliche Urveranstaltung» notwendig.
Das Oratorium war 2008 bei der Duisburger Ruhrtriennale uraufgeführt worden. Schlingensief hatte dort in einer alten Fabrikhalle jene Kirche nachbauen lassen, in der er als Junge Messdiener war. Sie wurde jetzt auf der Seitenbühne im Berliner Haus der Festspiele errichtet. Die Übertragung von Duisburg in die Hauptstadt hat nicht nur äußerlich funktioniert. Auch die Kraft der überbordenden Collage aus Tagebuchnotizen, Filmeinspielungen und Spielszenen ist hier zu spüren.
Schlingensief eröffnete damit fulminant und verstörend den Reigen der von der Auswahl-Jury als «besonders bemerkenswert» eingestuften Inszenierungen des Theatertreffens. Das Publikum, darunter zahlreiche Prominente wie Regisseur Jürgen Flimm, Fernsehmoderator Alfred Biolek und der Schauspieler Lars Eidinger, ließ sich von dem in einigen Momenten verzweifelt, überwiegend jedoch tapfer anmutenden Plädoyer für Lebenslust mitreißen. Der überaus starke Beifall am Ende und die Bravorufen galten insbesondere Christoph Schlingensief und seinem Mut, sich im Theater auf sehr persönliche Weise mit den Schrecken von Krankheit und Tod auseinanderzusetzen.
Das Interesse daran ist enorm: Schon mehrere Straßenzüge vor dem Haus der Berliner Festspiele standen Menschen, die noch auf Karten hofften. Das Angebot, die Aufführung als Übertragung im Foyer des Hauses zu verfolgen, wurde begierig angenommen.
Jetzt ist die Spannung groß, ob auch die anderen Inszenierungen einen ähnlich starken Zuspruch haben werden. Für Irritation sorgte, dass nur neun Inszenierungen gezeigt werden, obwohl die Veranstalter betonten, dass mindestens zwanzig Neuproduktionen eine Einladung nach Berlin verdient hätten. Zu den Gästen zählt auch Christoph Marthalers «Das Theater mit dem Waldhaus», das jedoch an seinen Aufführungsort Waldhaus Sils-Maria in der Schweiz gebunden und nicht in eine andere Stadt übertragbar ist.
Mit Spannung erwartet werden zwei Arbeiten von Regisseur Jürgen Gosch: Anton Tschechows «Die Möwe» vom Deutschen Theater Berlin und «Hier und jetzt» von Roland Schimmelpfennig, uraufgeführt am Schauspielhaus Zürich. Am Sonntag erhält der schwer kranke Regisseur den Berliner Theaterpreis.
Weitere Aufführungen sind «Marat, was ist aus unserer Revolution geworden?» von Volker Lösch nach Motiven von Peter Weiss vom Deutschen Schauspielhaus Hamburg, Nicolas Steemanns Version von Friedrich Schillers «Die Räuber» (Thalia Theater Hamburg) und Franz Xaver Kroetz «Wunschkonzert», inszeniert von Katie Mitchell (vom Schauspielhaus Köln). Vom Wiener Burgtheater kommen «Alle Toten fliegen hoch 1 – 3» von und mit Joachim Meyerhoff und Karl Schönherrs «Der Weibsteufel» in der Regie von Martin Kusej sowie von den Münchner Kammerspielen Franz Kafkas «Der Prozess» in der Inszenierung von Andreas Kriegenburg.