Der krebskranke Regisseur Christoph Schlingensief macht seine Angst vor dem Sterben öffentlich: Mit einer Trilogie auf der Bühne und mit seinem Krebstagebuch „So schön wie hier kanns im Himmel nicht sein“.
Er traut sich fast alles: Behinderte auf die Bühne zu holen, Theater mit Neonazis zu machen und Obdachlose auf dem Wiener Opernplatz auftreten zu lassen. Weil er schon so viele Tabus im Kulturbetrieb gebrochen hat, gilt Christoph Schlingensief als das „enfant terrible“ des deutschen Theaterbetriebs. Er ist ein Spaßmacher, dem es jedoch bitterernst ist, einer satten Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten.
Ein Tabubruch ist auch Schlingensiefs Krebstagebuch. In der Klinik hat er einem Diktiergerät seine Gedanken über das Leben, das Sterben und seine Kunst anvertraut. Die Diagnose Lungenkrebs sei ein Schock gewesen, erzählt Schlingensief. „Diese Frage, warum es gerade mich trifft, und nicht den mit dem dicken Bauch auf dem Balkon, die treibt einen um“, gibt der 48-jährige Regisseur offen zu.
Der Kampf mit dem „Dreckskerl da drinnen“
Sein Krebstagebuch spricht aus, was die meisten Betroffenen sich kaum zu denken trauen. Er stellt das eigene Leiden, die eigene Krankheit öffentlich aus und beschreibt auch seinen mentalen Kampf gegen den „Dreckskerl da drinnen“, den Tumor, den er besiegen will. Weil er das Leben liebt. Denn das ist das Faszinierende an diesem Buch: Es ist eine einzige Liebeserklärung. Christoph Schlingensief bekennt die Liebe zu seiner Freundin und Verlobten, zu seiner Mutter und darüber hinaus ganz schlicht: zum Dasein auf dieser Erde.
Die Aufzeichnungen dokumentieren, wie der Künstler immer wieder mit seinem längst vergessen geglaubten Gott aus der Kinderzeit hadert und ihn doch wieder liebt, die katholische Kirche der Lüge bezichtigt, weil sie das Glück im Jenseits verspricht, während er für sich erkannt hat: „Wenn du hier die Augen zumachst, ist diese Welt wirklich weg. Sie ist verschwunden, sie ist nicht mehr da“, sagt er.
Ungebrochener Wille zur Kreativität
Christoph Schlingensief, der laute, gesellschaftliche Tabus ignorierende Provokateur, er offenbart sich in diesem Tagebuch als verwundbarer Mensch und Künstler, der mit der Krankheit ringt und zugleich das Leben feiern möchte. Die große Zustimmung, mit der sein Buch in der Öffentlichkeit aufgenommen wurde, hat ihn überrascht. Er habe sein Tagebuch zunächst nur für sich geschrieben, erzählt er. „Da war keiner im Raum, da waren nur Dunkelheit und Dämonen.“
Seine existentielle Angst bekämpft er vor allem mit dem ungebrochenen Willen zur Kreativität. Seine Wünsche, wie er sie in dem Buch formuliert, klingen fast kindlich-naiv: Mindestens 35 mal noch Weihnachten feiern, noch mal Wagner in Bayreuth inszenieren, vielleicht nach Parsifal das nächste Mal Tristan. Und: ein Festspielhaus in Afrika gründen.
Der Traum vom Theater in Afrika
Dieser Traum könnte jetzt Realität werden: Letzte Woche, am Rande einer Konferenz über auswärtige Kulturpolitik, verkündete Außenminister Frank-Walter Steinmeier, er wolle Schlingensief bei diesem Vorhaben unterstützen. Der Regisseur ist glücklich – und steht nun vor neuen Herausforderungen.
„Wir haben schon Gelder bekommen“, sagt er. „Die Reise nach Burkina Farso am 17. Mai ist finanziert.“ Und zuversichtlich fügt er hinzu: „Wir schaffen das, wir sind auf einem sehr guten Weg.“
Autorin: Sigrid Hoff
Redaktion: Sabine Damaschke
DW-WORLD.DE vom 27.04.2009