SCHMERZENSWERK WIE ALTERSWERK (DEUTSCHLANDRADIO)

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Christoph Schlingensief inszeniert sein Stück „Mea Culpa“ am Burgtheater Wien

Von Michael Laages

Wer weiß schon, wie lange das noch gut geht: Christoph Schlingensief ist todkrank, er lebt mit einer halben Lunge, ist gezeichnet von seiner Krebserkrankung. Und doch setzt er ganz und gar auf Arbeit – als einziges Mittel gegen das Sterben. In seinem Stück „Mea Culpa“ am Wiener Burgtheater spricht Schlingensief von den vorletzten Dingen.

Der Fausttraum also soll sich nun in Afrika erfüllen, jener Moment des letzten Glücks, in dem sich mit Goethe „zum Augenblicke“ sagen ließe „Du bist so schön!“ soll die Eröffnung eines Festspielhauses sein.

Im Modell, das Christoph Schlingensief gegen Ende der Ready Made Oper mit dem selbstanklägerischen Titel Mea Culpa gleich mehrfach auf die Bühne des Wiener Burgtheaters wuchtet, ähnelt das Heart of Africa-Bühnenhaus zwar durchaus noch ein bisschen dem auf dem Grünen Hügel von Bayreuth – doch mit der Zeit soll es selber Maßstab werden für den Austausch zwischen den Kulturen. Und eines Tages – auch das Teil vom Traum – werden die Festspielbesucher aus aller Welt in Bayreuth sagen: „Guck mal, das sieht ja aus wie das in Afrika!“

Mea Culpa ist – das sei vorweg mit allem Ernst gesagt -ein ebenso erstaunlicher wie berührender Theaterabend. Erstaunlich, weil er zwar abendfüllend mit dem Wissen um Schlingensiefs lebensbedrohliche Krebserkrankung umgeht, die nach dem Ausflug ans Opernhaus von Manaus schnell und über die Maßen heftig ausbrach, zugleich aber in Jammerkitsch nur dann verfällt, wenn der Regisseur genau den zeigen und sich vehement gegen ihn zur Wehr setzen will.

Berührend ist Mea Culpa vor allem durch das Maß an Ehrlichkeit, das den Abend durchzieht – und zwar nicht nur dann, wenn Schlingensief selbst im zweiten Teil auf die Bühne tritt, Filme aus und über Manaus zeigt, um danach unter der Leselampe gemeinsam mit den Schauspielerinnen Irm Hermann und Margit Carstensen Briefe von Menschen vorzulesen, die sich vorbereiten aufs Sterben. Und dabei eben nicht verstummen.

Darum wiegelt auch Schlingensiefs Alter Ego auf der Bühne, der Schauspieler Joachim Meyerhoff, kurz vor Schluss ab, wenn er als Lieblingslied von einer alten Sängerin unendlich anrührend eine Wagner-Arie vorgesungen bekommt, wie zum Abschied: Nichts da, bitte noch nicht – es sei ja wunderschön gewesen, aber er habe doch noch so viel zu tun hier unten.

„Es ist ja so: wenn man krank wird, richtig schwer krank, dann sieht man die kleinen Dinge, die man früher immer übersehen hat, in ganz anderem Licht – und mir geht das jetzt so mit diesem Lied. Jaja, das kann heilen!“

Es fällt nicht eben leicht, bei der immensen Bewegung und Berührung dieser zweieinhalb Stunden für eine Weile bei den schlichteren Fakten zu bleiben. Also: Mea Culpa ist, der Untertitel der Ready Made Oper sagt es, ein Spiel mit fertigen Versatzstücken, mit sehr viel Wagner, inklusive Sängern, Orchester, Chor und Kompositionen von Arno Waschk, die ihrerseits mit Wagner anderen Partikeln spielen.

Ausgehend von der Welt-Wunde, die im Parsifal geheilt werden soll, führt uns Schlingensief im ersten Teil in ein dann ja doch einigermaßen albernes Wellness- und Ayurveda-Kurhotel, wo Margit Carstensen die Chefin und Irm Hermann die Haus-Duse gibt, Joachim Meyerhoff einen Patienten und Fritz Haberlandt seine Lebensgefährtin, die wir uns auch als junge Freundin des verstorbenen Malers Jörg Immendorff vorstellen dürfen.

Immendorff und die ALS-Krankheit, an der er so grässlich zu Grunde ging, waren ja auch das zentrale Motiv einer früheren Schlingensief-Arbeit. Wie oft hat gerade er generell die Krankheit beschworen! Herbei beschworen? Wird krank, wer zu viel von Krankheiten redet? Ist er selber schuld? Mea Culpa – stimmt das vielleicht wirklich?

Schlingensief spricht natürlich auch an diesem Abend von der Notwendigkeit, sich offensiv hinein zu begeben in die Krankheit, sich in den Krebs hinein, und ihn also sozusagen von innen her aufzufressen. „So ein Blödsinn!“ sagt Meyerhoff dazu, Schlingensiefs Bühnen-Ich, und klettert aus einer Krebszelle aus Pappmaschee, in die er testweise schon mal hinein gekrabbelt war. Wer weiß schon, welches Ich da Recht bekommen wird.

„Ein Blick aus dem Jenseits ins Hier“ ist der erste Teil überschrieben; er endet damit, dass Meyerhoff als Schlingensief Wagner inszeniert. „Jenseits der Grenze“ spielt der zweite, der unübersichtlichste Teil – Wagners Kundry tritt auf, verpatzt aber alles: falsche Zeit, falscher Ton.

Und Mira Partecke stürzt sich aus der Rolle in eine schreiende Selbstbezichtigung – sie, das heisst: der Autor, habe ja immer alles falsch gemacht, als Künstler nie das getan, was eigentlich nötig war, nie auch vermitteln können, wie ernst alles gemeint war. Darum hat niemals jemand richtig verstanden – nun aber sei es fast zu spät, sagt die Schauspielerin und simuliert einen Selbstmord.

„Exzess“ verspricht der zweite Teil, alles, was „Jenseits der Grenze“ denkbar sei – doch es bleibt bei Worten, nichts als Worten. Die „Dionysische Barbarei“, mit Nietzsche beschworen, hält sich in Grenzen, spirituelle Entgrenzung, wie Schlingensief sie in Brasilien sah, fehlt.

Dann aber folgt der herrliche Traum vom Festspielhaus in Afrika; und schließlich wirft Schlingensief einen „Blick ins Jenseits“, wo der Bühnen-Schlingensief dem toten Vater begegnet, der sich schon so freut darauf, bald wieder mit ihm zusammen zu sein. Aber wie gesagt: So weit ist es noch nicht. Und Sohnemann setzt Papa vor die Jenseits-Tür.

Szenen wie diese sind zum Heulen schön.

Vieles an diesem Abend ist so liebenswert uneitel, dass der Wüterich, der Rabauke, der Kaputtmacher Schlingensief fast in Vergessenheit gerät. Schmerzenswerk sieht aus wie Alterswerk: milde, mit Ave Maria garniert.

„Denk an Deinen Schöpfer in den Tagen Deiner Jugend – eh die bösen Tage kommen und die Jahre sich nahen, in denen Du sagen wirdt: Sie gefallen mir nicht.“

„Mea Culpa“ ist ein Abend der Innenansichten, ein Panoptikum der Reflexion über einen unauflösbar schrecklichen Prozess: das Leben eben. Darin gibt es viel naives Laienspiel und liebenswerte Unbeholfenheiten neben aller Ambition.

Die Mischung ist einzigartig, das Personal beglückend. Janina Audick hat in die Burg eine Burg gebaut, mit vielen Spielnischen und Raum für Filmprojektion. Aino Laberenz hat tief in die Kisten mit den bunten Fummeln drin gegriffen. Und wie ehedem halb Hollywood beim Filmtitanen Robert Altman, so treten hier einige der bedeutenderen Burgmimen Schlingensief zur Seite, auch wenn nur ein Röllchen dabei raus springt.

Sie wissen ja, für wen sie es tun. Sie wissen nicht, wie lange noch.

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DeutschlandRadio Kultur vom 21.03.2009