DER TOD MUSS WARTEN (BASLER ZEITUNG)

Veröffentlicht am Autor admin

Christoph Schlingensief ringt mit seinem Krebs in seinem Stück «Mea Culpa». Wien war berührt und applaudierte.

Von Stephan Hilpold, Wien

Er wolle noch nicht, sagt am Ende der Schauspieler Joachim Meyerhoff, der an diesem Abend das Alter Ego von Christoph Schlingensief gibt: Er bleibe noch ein wenig hier. Der Tod muss warten. Zumindest eine Weile noch.

«Mea Culpa» heisst der bedrückend grosse und grossartig berührende Abend, den der 48-jährige deutsche Aktionskünstler, bei dem Anfang 2008 Lungenkrebs diagnostiziert wurde, am Wiener Burgtheater inszeniert hat. «Eine ReadyMadeOper» nennt Christoph Schlingensief die Soiree im Untertitel. Aber eigentlich könnte man sie als ein Theater gewordenes Memento Mori bezeichnen. Wobei weniger der Mahnruf im Vordergrund steht als der Dialog mit der Krankheit und dem Tod, das Ringen mit ihnen und ihren Verkündern. Nach Abenden in Duisburg und Berlin verhandelt Schlingensief damit ein weiteres Mal seine schwere Krebserkrankung.

Diesmal dreht sich alles um «Parsifal». Die Oper Richard Wagners hat Schlingensief bekanntlich 2004 am Grünen Hügel in Bayreuth inszeniert. Damals hat sich der Katholik Schlingensief an der religiösen Ikonografie dieses Bühnenweihfestspiels abgearbeitet, und sie hat ihn nicht mehr losgelassen. Die Erlösung der Religion mit den Mitteln der Kunst wich einer Hinterfragung des Erlösergedankens mit dem Zeichenarsenal der Religion, zu dem etwa Prozessionen zählen. «Jede Kreativität ist Heilkraft pur», heisst es am Ende des ersten des in drei Akte gegliederten Abends. Ob hinter diesem Satz ein Ausrufe- oder Fragezeichen kommt, ist eines der Themen.

Überforderungs-Kunst

«Ein Blick aus dem Jenseits ins Hier» ist der erste Teil überschrieben. Er spielt in einem Sanatorium, das die Krankheit mit den Mitteln des Ayurveda kurieren will und das sich zu einer Probebühne für den «Parsifal», einem Krankenbett, einer Kirche oder einer riesigen Filmleinwand wandelt – wo immer die Drehbühne gerade stehen bleibt. «Animatograph» hat Schlingensief diese Drehbühnenkonstruktion (Janina Audick) in früheren Arbeiten genannt. Sie liefert in Sekundenschnelle Einblicke ins schlingensiefsche Universum. Wie immer bei diesem Überforderungs-Künstler quillt es auch diesmal über – von Joseph Beuys bis Elfriede Jelinek, von Marcel Duchamp bis Jörg Immendorff sind die alten Bekannten alle dabei. Nur, dass ihre Dechiffrierung diesmal kaum eine Rolle spielt.

Während das Viva Musica Festival Orchestra aus Bratislava im Verein mit dem Chor der Universität Wien immer wieder den von Arno Waschk um- und weiterkomponierten «Parsifal» anstimmt, hangelt sich Meyerhoff in der Rolle von Schlingensief (und begleitet von Margit Carstensen als Sanatoriumsdirektorin und Irm Hermann als Krankenmuse) von den Stationen der Krankheit über die Gespenster der Vergangenheit bis zu den Heilsversprechen der Zukunft. Das ist genauso pathetisch wie unpeinlich und oft genauso naiv wie wahrhaftig. Das Lächerliche und das Weihevolle sind an diesem Abend Verbündete im Geiste.

«Schreiben Sie es auf, wenn Sie Krebs haben»

Im zweiten Akt tritt Schlingensief selbst auf. Dem Vorwurf, mit seiner Krankheit hausieren zu gehen, statt sie still und heimlich im Krankenbett auszuleiden, setzt er ein Manifest der öffentlichen Auseinandersetzung entgegen. «Schreiben Sie es auf, wenn Sie Krebs haben», ruft Christoph Schlingensief: «Ich lese es gerne.»

Im dritten Akt hat sich das Festspielhaus in Bayreuth in ein Opernhaus in Afrika gewandelt. Dessen Errichtung ist Schlingensiefs grosses Projekt. Im Rahmen von «Mea Culpa» steht das «Heart of Africa»-Opernhaus aber auch für die Idee der lebensumgreifenden Kunst. Vielleicht wird die Krankheit durch die Kunst hervorgerufen. Dann kann auch nur die Kunst sie besiegen. An diesem Abend ist Schlingensief genau das gelungen. Viel Applaus.

Basler Zeitung vom 22.03.2009