Schlingensiefs Schock-Stück über Prinzessin Dianas Tod in der Volksbühne
So sah es der Berliner Korrespondent der Londoner „Times“
Von ROGER BOYES
Die Engländer sind stolz auf ihre Gastfreundlichkeit. Aber nachdem ich mir das Prinzessin-Di-Fiasko angesehen habe, würde ich gern eine Ausnahme machen: Mr. Schlingensief, Sie sind in Großbritannien nicht willkommen. Bitte bleiben Sie in Berlin. Die Vorstellung, dass Sie Ihre abstoßende Freakshow nach London bringen wollen, erfüllt mich mit Entsetzen. Selbst die hartgesottenen Berliner – an Masturbation und Orgien auf der Bühne gewöhnt – konnten Ihre Inszenierung nicht ertragen. Einige schrieen „Bullshit!“, und zweifellos hat das Ihnen als professionellem Provokateur geschmeichelt.
Wie bei Big Brother
„Kaprow City“ handelte vom Tod Prinzessin Dianas, und wir sollten uns wie schuldige Voyeure fühlen. Eine clevere Idee; die einzige Idee im ganzen Stück.
Wir waren alle von Diana fasziniert, und irgendwie spielte diese Faszination auch bei ihrem Tod eine Rolle. Daher spielten die Akteure in einem Bühnen-Karussell, und die meisten von uns sahen sie auf einer Leinwand vorüber rauschen: Wie „Big Brother“-Zuschauer.
Aber was war das alles für ein Müll, auch wenn Jenny Elvers recht kompetent gespielt hat. Die Queen knetet Würstchen in Form von Hakenkreuzen. Nun, das wird in London hervorragend ankommen, Mr. Schlingensief. Eine blutüberströmte Camilla. Ein Schotte in einem Kilt, dessen Schambereich rasiert wird. Warum? Wen interessiert’s? Mr. Schlingensief, Sie würden sich nackt am Fernsehturm aufhängen, wenn Sie dächten, dass es die Leute schockiert.
Natürlich können Sie die königliche Familie verspotten. Glauben Sie mir, die Briten machen es selbst die ganze Zeit. Sie brechen damit kein einziges Tabu. Aber was ist witzig daran, eine Frau zu zeigen, die sich minutenlang erbricht und dabei einen toten Hasen auf der Schulter trägt? Oder eine Frau, die über Elektroschock-Therapie spricht? „Bei der dritten Behandlung sind die Gedanken weg“, sagt sie. Nun, es gab Momente in dieser zweistündigen Aufführung, in denen wir alle etwas von diesen Elektroschocks hätten gebrauchen können.
Was wollten Sie uns über Diana erzählen, Mr. Schlingensief? Dass Sie eine Unschuldige im Irrenhaus des Buckingham Palace war? Das ist keine besonders interessante Aussage. Sie sind ein Meister der Provokation, Mr. Schlingensief, aber das Entscheidende bei der Provokation ist, uns zum Nachdenken zu bringen.
Vielleicht hatten Sie diese Fähigkeit einmal, aber Sie haben sie verloren. Sie sind ein Hochstapler, und es ist eine Schande, dass die Deutschen Sie noch nicht durchschaut haben. Diana hat dieses absurde Testament nicht verdient. Wir auch nicht.
B.Z. Freitag, 15. September. 2006