Bei der Premiere seines Stücks „Kaprow City“ in Berlin stürzte Regisseur Christoph Schlingensief die Zuschauer erwartungsgemäß in Verwirrung
Von N.N.
Hat die kleinwüchsige Queen in Christoph Schlingensiefs schrillem Spektakel über die letzten Stunden im Leben von Lady Diana ihre Hand zum Hitlergruß erhoben? Was vorab zum Skandal aufgebauscht wurde, entpuppt sich inmitten der schrillen Szenerie von „Kaprow City“ als belangloses Detail. Tatsächlich sind auf einem der unzähligen Videobildschirme Diana-Look-a-likes in BDM-Pose, davor die grau ondulierte Königin mit Krönchen, alle mit erhobenen Armen zu sehen.
Skurril und trivial
Es ist nur eine von vielen skurrilen, oft unverständlichen Szenen und trivialen Handlungen, die 90 Minuten lang inmitten einer kruden Kulisse von Plastikplanen, Pappmöbeln, Blutspritzern, Kaninchenställen und Autowracks ablaufen. Alle paar Minuten fordern die Platzanweiser zum Wechseln und Weitergehen auf.
Karnickel treffen Dracula
Mal nimmt man im Wagner-Abteil Platz, mal darf ein keifendes Paar beobachtet werden, mal sitzt man vor drei rotäugigen Kaninchen und ein weiß geschminkter Dracula huscht vorbei, zum Schluss präsentiert ein Fahrer im Oberkellner-Gewand stolz das Rudiment eines Trabis. Ein leerer Käfig hängt an der Wand, der Vogel ist entflogen. Dazu laufen die BBC-Nachrichten über Lady Di´s Tod. Die Zuschauer wohnen dem Event auf Bänken inmitten der Szenerie bei, die sich wie ein Karussell dreht.
Anspielungen auf Dianas Essstörungen
„Patty muss abspecken – mit Orangen und Zitronen“, so fängt der Reigen an. Unflätig kreischt eine Stimme, dazu sind Laute von Erbrechen zu hören, beides wohl Anspielungen auf die Essstörungen der 1997 bei einem Autounfall in Paris umgekommenen Prinzessin der Herzen. Ein Prinz Charles mit aufgeklebten Segelohren rast durch das chaotische Ambiente. Schauspielerin Jenny Elvers-Elbertzhagen, die zuletzt durch ihre Leistung in dem Kinofilm „Knallhart“ beeindruckte, zeigt banale kleine Szenen aus dem Leben Dianas.
Kein Platz für Besinnlichkeit
Mal zerquetscht sie eine Zitrone in der Hand, mal liest sie ein Buch, mal tanzt sie lasziv mit einem drahtigen Mann. Kurze, blonde Haare, schwarzes Kleid, blasses Gesicht mit ernsthaftem Ausdruck, die einstige Skandalnudel verdirbt nichts, vermag aber auch der Aneinanderreihung von Assoziationen keinerlei neuen Aspekt hinzuzufügen. Schlingensief-Fans sitzen hinter den Plastikplanen und spähen hautnah auf die Szene – voyeurhaft wie die Paparazzi, die einst die schöne Prinzessin von Wales auf Schritt und Tritt verfolgten. Beklemmung stellt sich dennoch nicht ein, die visuelle Flut von Reizen, Fotos, Videos, Schauspielern und die Kakophonie des Gebrülls, Gehämmers, der lauten Musik und schrägen Lieder lassen Besinnlichkeit oder gar Rührung kaum zu.
Panoptikum seltsamer Figuren
Schlingensief-Fans wissen, dass sie kein normales Theaterstück erwarten dürfen. Sprache spielt so gut wie keine Rolle. Nur bildhafte Szenen prägen sich ein, etwa eine Diana (Elvers), die ihrem korpulenten Alter Ego aus einem Buch vorliest. Vielleicht wäre sie ohne ihre Bulimie eine glückliche, rundliche Frau gewesen? Derlei interessante oder auch infantile Fragen stellen sich bei fast jeder Szene. Natürlich erfreut der originellste Provokateur des deutschen Theaters sein Publikum mal wieder mit einem Panoptikum von seltsamen Figuren – größtenteils besetzt durch behinderte Menschen.
Was ist die Intention des Künstlers?
Das Premierenpublikum an Berliner Volksbühne versuchte sich einen Reim auf all die angedeuteten Thesen zu machen. Was will das Enfant terrible des deutschen Theaters seiner Fangemeinde mit diesem Happening sagen, das demnächst auch in London laufen wird und von ihm zudem verfilmt wird? Was hat Wagner mit den Royals zu tun? Setzt Schlingensief die von Diana verweigerte Einordnung in die Königsfamilie mit der Nazi-Ideologie gleich? Das Stück – oder besser das skurrile Tableau – verweigert die Antworten. Der Künstler sagt von sich, er habe mit Königsfamilien „nichts am Hut“. Warum er sich überhaupt mit dem Schicksal der mit nur 36 Jahren aus dem Leben gerissenen Prinzessin beschäftigte, bleibt leider unklar.
14.9.2006