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Ausstellung gibt Überblick über das Werk von Christoph Schlingensief

Von Christian Gampert

In den Kosmos der Welt Christoph Schlingensiefs führt eine Ausstellung in Zürich. „Querverstümmelung“ ist bis zum 3. Februar 2008 im migrosmuseum zu sehen.

Dass Christoph Schlingensief Realität verzerrt und verstümmelt, auf dass sie endlich erkennbar werde, ist seit seinen frühen Filmen lustvoll zelebrierte Methode. „Querverstümmelung“ will sagen, dass man hier mehrere Projekte querlesen kann. Während sich Schlingensief in den Theaterarbeiten und Happenings immer wieder selbst als entertainender Provokateur in Szene gesetzt hat, muss nun ausschließlich das Material sprechen. Kein kanzler-feindliches gemeinsames Baden im Wolfgangsee mehr, keine Publikums-Veräppelung wie bei der Wiener Container-Aktion, bei der Asylanten eine Aufenthaltsgenehmigung gewinnen konnten: nur noch Film- und Schrott-Installationen, die zwar vielfach auf vergangene und gerade laufende Arbeiten Bezug nehmen, aber eben ganz allein im Museum stehen.

Wir schreiten also an den einzelnen Zellen der „Kaprow City“ vorbei, die Schlingensief schon einmal in der Berliner Volksbühne aufgebaut hatte, ein müllumspültes, Favela-ähnliches Holzhütten-Labyrinth, wo einzelne Filmsequenzen laufen, eine Teufelsaustreibung, Stripper, Zauberer, Bodybuilder; in einer Kammer mit Kinderwagen, vage Reminiszenz an Rosemary’s Baby oder auch die Schleyer-Entführung, wäscht sich ein Kind namens Christoph Schlingensief – ein alter Super-8-Film.

Das Familiäre hat bei Schlingensief immer eine große Rolle gespielt, und in all dem Theatermüll, der nun ins Museum geschwappt ist, in diesen abgespielten Requisiten fällt ein ganz neuer, nachdenklicher, trauernder Ton auf, den man von Schlingensief nicht gewohnt ist. Der jetzt 47-Jährige, das ewige Kind, ist schwer getroffen vom Tod seines Vaters. Mit dunkel geränderten Augen sitzt er da und erinnert sich an das Familienhobby, Filmen, das als flüchtiger Schatten der 60er, 70er Jahre durch die Ausstellung geistert, Landschaftsaufnahmen, Ausflüge mit Papa.

„Die Filmerei hat er immer unterstützt. Ich weiß noch, einmal hat er ein Wahnsinns-Theater gemacht. Und zwar hatte ich da mit 12 oder 13 versucht, Hollywood anzurufen, um zu fragen, wie diese Lampen heißen, die die benutzen. Die Telefonrechnung war immens. Da hat er sich richtig aufgeregt; aber eine halbe Stunde später hat er gelacht und fand das toll.“

Die Anhänglichkeit an die Familie teilt Schlingensief mit dem anderen großen, ungezogenen Jungen der deutschen Kunstszene, mit Martin Kippenberger: Zwar muss man die Eltern provozieren (und damit gleich die ganze Gesellschaft), aber man bleibt ihnen auch erhalten. Schlingensief verfilmt Leidensgeschichte und Kreuzigung Christi mit lauter Zwergen, mit Kleinwüchsigen und stößt uns darauf, dass Leiden heute eben eine Nummer kleiner, alltäglicher stattfindet. Religion ist sowieso bestes Provokationsmittel: In der Ausstellung durchschreiten wir eine Phalanx riesiger biblischer Apostelfiguren, die aus dem Karneval von Manaus stammen. In diese Figuren werden kurze Filme projiziert, die Schlingensief während seiner Inszenierung von Wagners „Fliegendem Holländer“ in Brasilien gedreht hat, Kinder, Samba-Tänzer, Alltag. Das sind Loops, Wiederholungsschleifen, Filmmaterial, das sich vor den Augen des Betrachters abschleift, abwetzt, auflöst – eine Inszenierung von Vergänglichkeit.

Ein dritter Ausstellungsteil, „The African Twintowers“, überblendet nordische Sagenwelt mit afrikanischen Zauberritualen und dem 11. September. Wer hier Sinn sucht und überschaubare Erzählstränge, ist verloren. Es geht um eine andere, neue Wahrnehmung kultureller Klischees, um das Verschmelzen des angeblich Unvereinbaren, um Synkretismus.

„Ich habe sehr viel Lust bekommen gerade in Brasilien auf dieses Synkretische, also wo die Sachen sich alle vermischen. Da kann eben die Samba-Tänzerin mit ihrem Popo neben dem Jesus wackeln, und das fährt beim Karneval rum, und vorne wird getrommelt.“

Es geht aber auch, immer wieder, um das Erbarmen mit den Armen – Schlingensief ist ein enorm moralischer Mensch, ein Parzival. Oder tut er nur so? „Ein reiner Tor, durch Mitleid wissend“? In der Abschluss-Installation der Ausstellung fährt uns ein Behinderten-Aufzug zu einem letzten Monitor hoch – das wirkt provokant, aber auch das hat aber einen persönlichen Hintergrund: Schlingensiefs Mutter ist auf ein solches Gerät angewiesen.

Deutschlandradio Kultur, 7.11.07

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