MAXIMALER AKTIONSRADIUS (KUNSTZEITUNG 09/2007)

Veröffentlicht am Autor admin

In der zweiten Folge unserer neuen Serie »Kontroverse« bekennen die Autoren der KUNSTZEITUNG erneut Farbe: Schlingensief-Fan oder Schlingensief-Gegner – das ist hier die Frage.

In Sachen Medienpräsenz macht ihm so leicht keiner was vor. Christoph Schlingensief gehört zweifellos zu den populärsten Zampanos der Kunst und Kulturszene. Ob Film oder Fernsehen, ob Sprechtheater oder Oper, ob Ausstellungen in renommierten Kunstinstitutionen (derzeit etwa im Münchner Haus der Kunst) oder Aktionen im öffentlichen Raum – der Mann aus Oberhausen gibt überall Vollgas, geht grundsätzlich keinem Skandal aus dem Weg und bestreitet seine Tour de Force auch geographisch mit maximalem Aktionsradius – allemal zwischen Brasilien und Bayreuth. Zuviel des Erfolgs bei einem, der einst das Scheitern als Chance proklamierte, meinen seine Kritiker, die Schlingensief vorwerfen, er suche die Provokation nicht aus künstlerischen Zwecken, sondern Maximaler Aktionsradius um im Rampenlicht zu stehen. In der zweiten Folge unserer neuen Serie »Kontroverse« bekennen die Autoren der KUNSTZEITUNG erneut Farbe: Schlingensief-Fan oder Schlingensief-Gegner – das ist hier die Frage.

Volle Angst voraus.

In den vergangenen Jahren wurde sichtbar: Im Religionsfeld stecken die stärksten Energien. Mit seinen zwölf Jahren als katholischer Messdiener ist Christoph Schlingensief in einem kreativen Umgang mit ihnen geübt. Das macht ihn zeitgemäß – und mir sympathisch.Wie sein Vorbild Hermann Nitsch ist auch Schlingensief ein Schlachter: ein Ausschlachter von Riten- und Mysterien. Etwa wenn er mit einer Pfahlsitzaktion auf der Biennale in Venedig 2003 an frühchristliches Büßer- und Anachoretenperformancetum anknüpft. Seine Lieblingsstrategien sind: Überbietung, Vorwärtsverteidigung, negative Affirmation. In »Bitte liebt Österreich« durfte man angeblich in Big-Brother-Manier einen abzuschiebenden Ausländer wählen. Die nach dem 11. September grassierende Terrorangst beantwortete der Künstlerregisseur mit der Gründung der »Church of Fear« (CoF). Devise: »Kein Gott, kein Götze wird uns leiten! Volle Angst voraus.« Dass Schlingensief das angebliche Diana-Crash-Auto auf den Kunstmarkt warf, war allerdings eine überflüssige Aktion. Doch wer schnell unterwegs ist, darf auch mal ins Schlingern geraten.
Johanna Di Blasi

»Schlingel« mit Tiefgang

Wer A wie Achternbusch sagt – und da bin ich, von dessen kleinen Alterstorheiten einmal abgesehen, absoluter Fan –, der muss auch Sch wie Schlingensief sagen. Ich finde den rotzfrechen, witzigen Tausendsassa prima. Auch Schlingensief weiß: Wenn die Welt schon eine faule Kartoffel ist, gilt es einen Kartoffelschnaps daraus zu brennen, der tüchtig ätzt. In jüngster Zeit hat er überdies bewiesen, dass er durchaus mit Tiefgang und sensiblem Sinn für feine und subtile Zwischentöne ans Werk zu gehen versteht. Der oft als »Schlingel« Titulierte ist längst erwachsen geworden. Mag mir auch manches, was er bisher gesagt, getan oder inszeniert hat, gegen den Strich gegangen sein: Es ist es stets wert, sich darüber tüchtig zu streiten. Ein intelligenter Provokateur, ein immer Neugieriger, ein ebenso begnadeter wie gnadenlos an seine Grenzen gehender Selbstdarsteller, der – Chapeau – auch das Risiko des eigenen Scheiterns nicht scheut. Er hat nicht nur politisch lautstark seine bombastische Showtrommel gerührt. Sondern auch einiges Handfestes unternommen (und zwar, ohne es an die große Glocke zu hängen!). Ein disziplinierter Berserker, ein leidenschaftlich Besessener mit Networker-Kalkül, der schon lange über die ihm zugeschriebene Rolle des Enfant terrible hinausgewachsen ist. Schlingensief ist kein Narr, kein Kindskopf, war es wohl nie, nicht wirklich. Auch wenn er gern mit derartigen Erwartungshaltungen spielerisch jongliert (und wohl auch kokettiert) hat. Zu irritieren und zu verstören, das versteht er. Haut ja gern auch mal saftig auf den Putz. Na ja, er ist und bleibt auch ein Sonnyboy und Darling der Massenmedien. Doch versteht er es ebenso virtuos, diese für seine Zwecke einzuspannen und den Medienzirkus dabei obendrein auch noch hübsch entlarvend vorzuführen. Was er kürzlich im brasilianischen Manaus geleistet hat, wo er Wagners Oper »Der fliegende Holländer« inszenierte: erste Sahne. Sein Filmschaffen, schon früh ein Schlüsselding, rückt in München nun endlich nach dem großen Bayreuth-Wirbel ins Rampenlicht. Dahin, wo es hingehört. Sendet mal wieder seine (zu Recht preisgekrönten) Hörspiele!
Elfi Kreis

Allzeit zum Kampf bereit

Eher ein Ja als ein Nein. So ganz einfach ist die (Schlingensief-) Endlosfilm-Sache eben nicht. Wie so oft: Alles eine Standortfrage, eine Frage der eigenen Position. Also rezipieren, rauf und runter, hinten und vorn, innen und außen, und selbstverständlich, anspruchsvoller, wieder einmal Raum und Zeit empfinden, bisweilen »18 Bilder pro Sekunde«, so auch der Titel seiner jüngsten, durchaus überzeugenden Ausstellung im Haus der Kunst, München (bis Mitte September). Die Motive Abendmahl und Karneval im Dialog. Oder Film, Theater, Malerei und Skulptur – er führt die Disziplinen zusammen, ohne Opfer jener Harmoniesucht zu werden, die einen Großteil der bildenden Kunst unsäglich lahmlegt. Nein, Christoph Schlingensief ist kein Behübscher, kein Dekorateur aus dem Lager falscher Wahrnehmung. Im Gegenteil: Der umstrittene, gerne subversiv agierende Künstler legt bloß, zieht blank, ist allzeit zum Kampf bereit. So weit, so gut. Natürlich gehört er zu den äußerst unbequemen Stars, wie ich aus eigener Produktionserfahrung mit ihm weiß, zu den wenigen unberechenbaren Crossover-Artisten, die von der großen Wagner-Oper in Bayreuth, Festspiele, bis zum kleinen Sympathisanten-Furz in Berlin, Volksbühne, das ganze Spektrum kultureller Tatorte bespielen wollen und keinerlei Angst vor dem Scheitern haben. Natürlich muss einer, der die Gleichzeitigkeit der Ereignisse feiert, der mit Mehrfachbelichtungen neue Dimensionen erschließt, mit allem rechnen – sogar mit der Zuneigung jener, die im Gegensatz zu ihm noch auf Hierarchien setzen. Der Beuys-Verehrer darf denn niemals sicher sein, ob denn gerade ein Feind oder ein Freund vor ihm steht. Umgekehrt bleibt bei mir, allen Sympathien zum Trotz (wir sind beide am ersten Skorpion-Tag geboren; wir haben beide eine Jugend als Schmalfilmer genossen), das Alarmsystem eingeschaltet, wenn sich Christoph Schlingensief nähert (keiner beherrscht den Judaskuss so gut wie er). Ein Meister der Perfidie. Oder, im Sinne des Künstlers, Niederträchtigkeit zum Wohle der Allgemeinheit.
Karlheinz Schmid

Erbarmungslos authentisch

Vom Oberhausener Schmalfilmamateur hat es der Apothekersohn bis nach Bayreuth gebracht: Chapeau! Auch wenn man dies vielleicht eher als Mesalliance, also als »nicht standesgemäße Ehe zwischen Partnern verschiedener Gesellschaftsschichten abtun könnte – doch wo Katharina Wagner gerade krampfhaft ihren Meistersinger-Relaunch versemmelte, vermochte Christoph Schlingensief 2004 mit seiner Parsifal-Adaption auch jenseits aller verquälten Regietheater- Ideen das zeigen, was er am besten kann:Wie in jedem anderen Genre auch ein künstlerisches Chaos zelebrieren, das dennoch höchst komplex durchorganisiert und vor allem eines ist – zutiefst politisch aufgeladen. Ob er auf der documenta 1997 »Tötet Helmut Kohl!« proklamierte (und dafür direkt verhaftet wurde) oder in dem genialischen Hörspiel »Rocky Dutschke, ‘68« eine mittelstandskonforme Redakteurin direkt in ihrem Studio vergaste: Schlingensiefs Widerstand gegen die als kryptofaschistisch empfundene Gesellschaft ist ob seiner Vehemenz im Gegensatz zu so manchem bloß behauptetem politisch-korrekten Werkimpuls wenigstens überzeugend. Vor dieser erbarmungslosen Authentizität sollten wir tatsächlich einfach den Hut ziehen.
Christoph Zitzlaff

Rumpelstilz der Kultur

Alles liebt Schlingensief, weil er originell und witzig ist und immer so authentisch wirkt – ich auch.Toll, wie er etwa die hohen Herrschaften auf dem grünen Hügel aufs menschliche Maß zurückschraubt und Katharinen Ratschläge gibt. Geschickt, wie er sich überhaupt in Bayreuth eingenistet oder beim Goethe-Institut lieb Kind gemacht hat. Die Rückendeckung ließ ihn den fliegenden Holländer auf den brasilianischen Urwald Kurs nehmen. Von seiner »Kirche der Angst« hat man dagegen eine Weile nichts mehr läuten gehört. Macht nichts, multimedial und sprunghaft, wie er ist, kann er es sich leisten, umherzuhüpfen. Erst recht, seit Hauser & Wirth den Schutzmantel über ihn breiten. Schlingensief hat etwas vom Chamäleon. Clever setzt er aufs Chaos der Kulisse, wohlwissend, dass seine Gemeinde ihm den allergrößten Käse am liebsten abnimmt. Gern vermengt er die Medien, quält mit Fluten von Filmeinspielungen auf der Bühne und verunklärt Handlungsstränge einfach so aus Spaß. Der Mann verhackstückt Kulturgut schon mal mit der Axt. Auf der Suche nach Orten, die ihn »noch überfordern können«, ist er eine Art Rumpelstilz der Kultur, der sich der Königin ihr Kind holt,wo es auch steht: zielführend stets für seine Person, nicht unbedingt immer fürs Publikum.
Dorothee Baer-Bogenschütz

Everybody’s Darling

Wer zuviel macht, macht meist nicht alles gut. Und das ist das Problem von Christoph Schlingensief, der alles macht: Filme,Theaterstücke, Kunstaktionen, Talkshows. Und gut scheint’s für ihn dann zu sein, wenn er möglichst stark provoziert. Ob er mit Fäkalien sudelt, zum Mord an Helmut Kohl aufruft, Karotten in Löcher steckt, in die sie eigentlich nicht gehören, oder zeigt,wie man eine Katze massakriert. Was er macht, traut sich sonst keiner, aber ist das ein Zeichen für Qualität? Vielleicht hätte sich Schlingensief besser beim Analytiker auf die Couch gelegt. Stattdessen inszeniert er seine Neurosen, und die Gedanken kommen reichlich unsortiert heraus. 2003, als er die Pfahlsitzer seiner »Church of Fear« zur Biennale nach Venedig brachte, hat sogar Elton John entzückt die Baumstümpfe der Säulenheiligen umarmt. Halleluja, aber was hat es gebracht? Schlingensief, der hochintelligente, narzisstische Selbstdarsteller mit dem ausgeprägten Sendungsbewusstsein, war mal wieder in den Medien. Längst ist er zur Marke geworden, siehe www.schlingensief.com. Wird von den Feuilletons gestreichelt und gelobt, und offenbar gefällt ihm das. In Bayreuth durfte er bereits inszenieren, nun auch an der Deutschen Oper in Berlin. Deren Intendantin nannte ihn schon in einem Satz mit der Netrebko, und bestimmt würde er gern mal mit ihr essen gehen. Charmant und ganz gesittet, da habe ich keine Zweifel. Immerhin lässt sich der Schöpfer der »Fickcollection« mittlerweile auch von der Zürcher Galerie Hauser & Wirth vertreten, die weite Teile der Flick-Sammlung bestückte. Der Provokateur von einst ist zahm geworden und hat sich mit dem »Schlingensief-Shop« auf seiner Homepage sogar dem Kapitalismus angepasst.
Susanne Kaufmann

Gift für jedes Rendezvous

Ich werde ihn nie vergessen, diesen Abend. Ich hatte Herrn M. zwecks näheren Kennenlernens ins Wiener Burgtheater eingeladen. Unsere Freundschaft verband bis dahin lediglich ein zartes Band gegenseitiger Zuneigung, das jederzeit zu zerreißen drohte. Auf dem Programm stand Elfriede Jelineks »Bambiland« in einer Inszenierung von Christoph Schlingensief. Eine wahre Zerreißprobe: Ich hatte mich keineswegs auf »Romeo und Julia« eingestellt, schon eher auf eine der mir hinlänglich bekannten Schlingensiefschen Provokationen, aber was im Burgtheater über die Bühne lief, haute mich glatt vom Stuhl. Wie peinlich banal! In der zweiten Hälfte des Stücks war auf einem riesengroßen Bildschirm eine Onanierszene in anatomischer Detailaufnahme projiziert. Sie wissen schon: Hand, Penis, hin und her, während sich Schlingensief darunter höchstselbst auf der Bühne in Farbpfützen wälzte und irgendeinen verbalen Jelinek-Dada nebst eigenem Sozialblabla vor sich hin deklamierte. Provokant daran war einzig, dass dieser »Kreativporno« einfach nicht aufhören wollte. Dauerte er zehn Minuten, eine halbe Stunde gar? Der Penis war jedenfalls einer der wesentlichen dramaturgischen Inhalte dieser dünnen Theaterabend-Hälfte – und außerdem das einzige, was »bewegend« war. Ich verfluchte Schlingensief. Da lernt man einmal einen netten Typen kennen, und dann sieht man sich an seiner Seite einen ganzen Abend lang einer Riesenvorhaut nebst nervendem Berufskind ausgesetzt. Ich war mir damals absolut sicher, dass Herr M. am Ende jenes verdrießlichen Abends im Burgtheater enerviert für immer »Adieu« sagen würde. Zum Glück hatte ich mich getäuscht: Herr M. blieb und wurde mein Mann – trotz Schlingensief!
Antje Mayer

Aus: KUNSTZEITUNG 133 / SEPTEMBER 2007, S. 23

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