OPERNDORF FÜR AFRIKA (ZEIT)

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Schlingensiefs Operndorf

Als ich zum ersten Mal mit der Frage nach einem Opernhaus für Afrika konfrontiert wurde, hielt ich es zunächst für einen Scherz. So eine Fantasie kann nur von jemandem kommen, der entweder Afrika nicht kennt oder der so satt ist, dass ihm nichts mehr einfällt außer Unsinn. Das war meine ganz spontane Reaktion. Aber ich lernte Christoph Schlingensief kennen, und nach zehn Minuten war klar: Das Projekt »Opernhaus für Afrika« war kein Scherz.

In der Zeit danach gab es einen intensiven Austausch mit Christoph und seinem Team. Während mehrerer Reisen durch Afrika entdeckte ich, welch eine unbeschreibliche Energie aus Christoph hervorgeht und mit welcher Ernsthaftigkeit er seine Vision des Opernhauses vorantreibt. Das ist wirklich faszinierend. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht, einen Menschen wie ihn, der großes Interesse für die afrikanische Kultur und Gesellschaft zeigt, durch Afrika zu führen.

Jemanden bewundern ist die eine Sache. Aber wie entwickelt man ein Projekt, das den Ansprüchen eines anspruchsvollen Künstlers wie Christoph und den Notwendigkeiten in meiner Heimat entsprechen soll? In den vergangenen Tagen, Wochen und Monaten wurde ich als Person und Architekt wie nie zuvor in meinem Leben gefordert. Viele Fragen mussten geklärt werden. Wie baut man eine Oper? Womit beginnt man? Es gibt sehr viele Beispiele in der Welt, aber kein einziges in Afrika.

Kann man überhaupt die Oper als Kultureinrichtung, die sogar in der westlichen Welt als eher altbacken und gleichzeitig elitär gilt, mit einem Land wie Burkina Faso, das laut Weltbank als eins der ärmsten Länder der Welt gilt, in Verbindung bringen?

Viele Menschen, mit denen ich gesprochen habe, zeigten große Begeisterung, hatten aber dieselben Fragen wie ich. Die Kernfragen drehten sich weniger um die Architektur, vielmehr war die Frage nach moralischer Vereinbarkeit der wirtschaftlichen Lage des Landes (in dem mehr als 80 Prozent der Bevölkerung weder lesen noch schreiben können) mit der Einrichtung einer Oper das Thema. Es hört sich sehr sarkastisch an, aber in dieser Zeit des Nachdenkens und des Zweifels kam uns eine Katastrophe zu Hilfe.

Burkina Faso wurde Ende August dieses Jahres von einer Jahrhundertflut heimgesucht. Ich war gerade mit Thomas Goerge, dem Bühnenbildner von Christoph, in Burkina unterwegs und wurde Zeuge dieser Flutkatastrophe und der damit verbundenen Zerstörung. Einige Stunden nachdem das Wasser wieder weg war, haben wir versucht, einen Ort in der Hauptstadt Ouagadougou, den Christoph wenige Wochen zuvor als möglichen Standort für die Oper gewählt hatte, zu besichtigen. Aber dieser Ort, der an der Schnittstelle zwischen offiziellen und informellen Siedlungen gelegen war, existierte nicht mehr. Er war einfach von dieser Flut weggeschwemmt worden. Die Menschen, die dort glücklich lebten, haben binnen weniger Stunden alles verloren. Unter diesem Eindruck schrieben wir Christoph, dass man in Zukunft nicht nur von dem Opernprojekt sprechen sollte, sondern dass es wichtiger wäre, den Leuten beim Wiederaufbau ihrer Häuser zu helfen.

Die Reaktion von Christoph kam sehr schnell. Er schlug vor, einen für die Menschen geeigneten Hausprototyp zu entwickeln, er würde einige davon finanzieren. Für mich als Architekt und Planer war dies die Gelegenheit, ein Modul zu entwickeln, das sich in das Projekt »Operndorf« integrieren lässt. Ich habe nicht mehr an das Warum und Wofür gedacht. Die Idee, ein Modul zu entwerfen, welches einerseits für die obdachlos gewordenen Flutopfer eingesetzt werden kann und zugleich als Grundmodul für alle Funktionen unseres Operndorfes dienen soll, war für mich und mein Büro etwas, womit wir etwas anfangen konnten. Um mit den Worten von Thomas Goerge zu sprechen, kann man diese Situation mit der Kaprifikation bei der Feige vergleichen. »Erst die Kaprifikation, also die Verletzung, löst den Vorgang der Befruchtung bei der Feige hervor.« In unserem Falle war es die Flut, die bei der Planung der Oper die zündende Idee für das Operndorf auslöste. Die Notwendigkeit, sofort zu handeln und etwas für die Menschen zu tun, zwang uns, etwas für die Flutopfer Nützliches in die Planung zu integrieren.

So entstand ein ganzes Dorf für die Oper, das ähnlich wie ein traditionelles afrikanisches Dorf aus kleinen Modulen um einen zentralen Platz herum aufgebaut ist. Im Kern der Anlage steht eine große Bühne, das eigentliche Festspielhaus, für circa 500 Zuschauer, um die sich spiralförmig ein ganzes Ensemble entwickelt. Der Theaterraum ist eine multifunktionale Hülle, die für Vorstellungen und Versammlungen verschiedenster Art genutzt werden kann. Um ihn herum wird eine Schule mit Film- und Musikklasse angegliedert, in der die Möglichkeit einer musischen und künstlerischen Erziehung gefördert werden soll. Eine Krankenstation als Notfallstation ermöglicht vielen ohne das nötige Kleingeld eine medizinische Behandlung, Anbauflächen für Selbstversorgung, ein selbst betriebenes Restaurant, Künstlerwerkstätten, das digitale Archiv und vieles mehr wird im Laufe der Zeit hinzukommen.

Es soll, wie Christoph es beschreibt, »wachsen wie der menschliche Organismus, langsam und organisch«. Dabei wollen wir, soweit wie möglich, lokale Baustoffe wie Lehm einsetzen und schon beim Bau möglichst viele Menschen aus Europa und Afrika in das Projekt einbinden. Durch meine bisherigen Projekte, welche in Zusammenarbeit mit den Menschen für die Menschen entstehen und darüber hinaus den harten vorherrschenden klimatischen Bedingungen sowie der lokalen Ökonomie und Kultur entsprechen, habe ich bewiesen, dass Technologie und Wissenschaft aus Europa sehr sinnvoll für die Menschen aus meiner Heimat eingesetzt werden können, wenn man daran glaubt und dafür kämpft.

Jetzt bin ich ganz sicher, dass es uns gemeinsam mit den vielen Einzelpersonen und Institutionen die das Projekt »Festspielhaus Afrika« fördern und unterstützen, gelingen wird, unser gemeinsames Projekt erfolgreich umzusetzen.

Der Architekt Francis Kéré stammt aus Burkina Faso und plant das Operndorf Remdoogo. Er hat den höchstdotierten Architekturpreis der Welt, den Aga-Khan-Preis, für eine kleine Dorfschule mit drei Klassenräumen in Gando, Burkina Faso, bekommen.

Dieser Text ist dem Feuilleton der ZEIT Nr. 53/2009 entnommen, das Christoph Schlingensief gestaltet hat.