Kein Stein auf dem anderen (NEWS)

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„Der Animatograph – Area7“ und das kreative Chaos an der Wiener Burg

Von Susanne Zobl

Die Verwaltungsabteilung des Burgtheaters hat kapituliert. Christoph Schlingensief, 45, ist wieder da, und das bedeutet: Das Haus vibriert im kreativen Chaos, chaotisches Schrecknis für die einen, kreatives Bad für die anderen. „Area7-Matthäusexpedition“ heißt das Projekt, das während der Arbeit am Bayreuther „Parsifal“ in seinem Kopf reifte und dessen Urrform schon unter Francesca Habsburgs Teilsponsoring in Island stattfand. Die Premiere am 20. Jänner hat Schlingensief storniert. Dafür beginnen schon am 17. sechs (statt der veranschlagten drei) Tage Work in Progress. Die kaufmännische Direktion versetzt er in Schrecken, weil er auf 20 euro Volkspreis für alle Karten besteht. Am 14. und 15. Jänner gibt es Einführungsabende im Kasino. Dass Hermann Scheidleder, Sachiko Hara, Juergen Maurer, Irm Hermann, Roman Stadlober und Klaus Beyer auftreten, ist zwar einigermaßen gesichert. Wer allerdings was tut oder spricht, ist unbekannt. Desgleichen, ob Schlingensief selbst mitwirkt und ob tatsächlich die US-Rocksängerin Patti Smith auftritt.

Jelinek im Zentrum. Faktum ist: die Sessel wurden schon aus Parkett und Parterre entfernt, denn dort und auf der Bühne prangt der „Animatograph Area7“, bestehend aus fünf Drehbühnen. „Area 7“ ist ein afrikanischer Slum in Namibia, wo Schlingensief für das Burgtheaterprojekt drehte und zu diesem Behufe ein Schiff als Installation errichtet. Die Slumbewohnern bemalten es, jetzt ist es ein riesenhaftes Kulissenteil. Weiters steht fest, dass Elfriede Jelinek für das Projekt einen Text verfasste, den sie für eine Video-Aufzeichnung selbst las. Der Film ist als Endlosschleife zu sehen. Schlingensief: „Der Animatograph ist eine Komposition. Er ist begehbar und belebbar, aber er ist nicht erlebbar, im Sinne eines Mythentheaters. Das Projekt hat nicht den Anspruch zu reinigen und auch nicht, mit Außerirdischen Kontakt aufzunehmen, es will auch die Welt nicht besser machen. Es ist eine Komposition, die sich aus dem, was sich auf der Welt findet, zusammensetzt. Elfriede Jelineks Text ist wie das Wort gewordene Bild dazu, eine ganz persönliche Bildbeschreibung.“ Damit kehrt sich um, was Schlingensief mit Jelineks „Bambiland“ vor zwei Jahren an der Burg demonstrierte: Hatte er damals die Bilder für das Jelineksche Werk geschaffen, schrieb die Autorin nun den Text zu Schlingensiefs Gesamtkunstwerk.

In Schlingensiefs Burg-Disneyland. Wir durften die ersten Aufbauarbeiten in den Proberäumen Arsenal beobachten und fanden uns inmitten eines gigantischen Labyrinths aus Schlingensiefschen Obsessionen von Erlösungsmythen, Quantentheorien und aktionistischen Filmen. Transparente Plastikvorhänge, dünne Holzwände mit einem kleinen Durchlass, durch den man nur in gebückter Haltung kommt, trennen die einzelnen Räume. Jeder Raum wird anders beschallt: mit afrikanischen Trommelrhythmen, Wagners „Parsifal“ oder Gustav Mahlers Lied „Ich bin der Welt abhandengekommen“. Dazu gibt es Schlingensiefs Filme von Affen in Naziuniformen, den „African Twin Towers“, oder das Schlussbild seiner Bayreuther „Parsifal“-Inszenierung, einen verwesenden Hasen. Wie in seinen anderen Arbeiten leitet Schlingensief durch diverse Mythenwelten von Island bis Afrika, thematisiert die Mondlandung ebenso wie die Quantentheorie (in „Schrödingers Hasenbox“).
Da wollten wir doch wissen: Wie geht es dem Künstler denn, wenn er mit Hermann Nitsch verglichen wird? „Ich sehe da überhaupt keine Gefahr. Der Mann ist dreißig Jahre älter als ich, er sieht auf jeden Fall sehr alt aus und macht, was ich gar nicht machen möchte. Ich habe auch gar keine Lust, mit echtem Blut zu arbeiten. Das andauernde Ausbluten und das Reinigen, diese ganzen psychedelischen Abteilungen, die da noch bei ihm drinstecken, sind mir fremd. Aber mit Blick auf ,Bambiland’ kann ich sagen, ich habe Nitsch in der Burg eine kleine Türe aufgemacht. Jetzt hat er wiederum eine Flügeltür geöffnet, und ich werde die nächste aufstoßen, und dann kommen vielleicht Andrea Breth oder Stemann und wollen auch im Foyer spielen. Dann kommt die österreichische Regierung und verlangt wieder, wie in Deutschland, das Wahre, Gute und Schöne im Guckkastentheater. Wir haben dem Betrieb nur eine Ölung erteilt, nicht die Letzte, aber eine Ölung.“ Und wer sollte auf Bachler folgen? Schlingensief spontan: „Andrea Breth. An ihr kann man sich reiben, weil ich ihr genug Offenheit zutraue, auch andere Theaterformen mit Neugier zu betrachten. Bei Kusej wäre ich mir da nicht so sicher. Er kauft ein, und er lässt such auch mal gerne kaufen.“

Professor Schlingensief. Seit vergangenem Herbst ist Schlingensief Professor an der Kunsthochschule in Braunschweig. Die Relikte seiner Aktionen sind weltweit kunsthandelsfähig. Hat er der Provokation entsagt? Schlingensief: „Um mit der Provokation Schluss zu machen, müsste ich erst mit ihr angefangen haben. Bestimmt ist der Animatograph ein produktives Unternehmen, provokant wird er lediglich für den sein, der schon mit einer vakuumverpackten Erwartungshaltung in die Burg kommt. Das ist aber ein Problem des einzelnen, bei dem ich nicht helfen kann. Der Animatograph ist ein Gedankengang, der sich weiterspinnt und sich mittendrin auch mal die Freiheit nimmt, keine Richtung vorzugeben. Querdenken darf heute ja gar nicht sein. Für mich ist es eine Lebensader, für andere allerdings schon eine Provokation, aber die sind für mich langweilig geworden.“ Und das Leben des Christoph Schlingensief ist doch ein einziger, mit Lust und List geführter Kampf gegen Langeweile.