KRITIK: »VIA INTOLLERANZA II« (KURIER)

Veröffentlicht am Autor admin

Christoph Schlingensiek konnte aufgrund seiner Erkrankung nicht selbst auftreten. Die Produktion aus Brüssel gastiert bei den Wiener Festwochen

Via Intolleranza II (c) Aino Laberenz

Caro Wiesauer

Eine Dame, die sich als Festwochen-Dramaturgin vorstellt, berichtet eingangs von schlimmen Sachen, die während der Proben für „Via Intolleranza II“ passiert seien: Vierzehn Tage lang habe man bei 40 Grad an die 300 Künstler in Burkina Faso gecastet, um dann aus Kostengründen doch nur ein paar von ihnen engagieren zu können.

Dramaturg Carl Hegemann sei wegen der Aufregung rund um das Buch seiner Tochter völlig fertig gewesen. Der Tontechniker habe eine Blutvergiftung erlitten, und schließlich sei die Mannschaft auch noch Flug-Opfer des Vulkans gewesen. Wodurch sich die Probenzeit für die Produktion, die von Brüssel aus nach Hamburg ging und jetzt bei den Festwochen gastiert, auf acht Tage beschränkt habe. Doch, das Ergebnis sei toll! Weniger toll aber das letzte Mail, das vor der Vorstellung von Christoph Schlingensief kam. Seine Krebserkrankung lasse nicht zu, selbst aufzutreten. Stefan Kolosko möge seinen Part übernehmen.

Nach diesen einführenden Worten, an denen wahrscheinlich leider sehr viel Wahres ist, ging es dann am Samstag im Arsenal aber trotzdem so richtig los. Und dass der Kopf des Teams nicht auf der Bühne war, konnte man erstaunlich gut verkraften: Denn jede Idee, jede Einspielung, jeder Act war Schlingensief pur. Und am Ende wurde dann doch ein Proben-Video mit ihm gezeigt.

Rasende Bilder

Mit der Oper von Luigi Nono, die als Ausgangspunkt diente, hat das Ergebnis wenig zu tun. In eineinhalb Stunden rasen Bilder und Videos aus Afrika – teils aus Kolonial-Filmen, teils vom Operndorf in Burkina Faso – über die Leinwände, singen, tanzen und reden sich die Darsteller in eine tranceartige Stimmung, die ansteckend wirkt.

Entsetzen und Verstörung mischen sich mit Spaß und Lebensfreude. Permanente Überraschungen sorgen für permanente Überforderung. Vieles, was falsch ist in der Entwicklungshilfe und Kunst kommt zur Sprache. Aber auch Selbstkritik: „Ich möchte mir wie Brus Nadeln durch die Oberschenkel stecken, Spendenbeutel dranhängen und nach Afrika robben“. Aber – „das wäre dann ja auch wieder so eine Kunstscheiße.“ Der wohl bewegendste, weil wahrhaftigste Abend, den die Festwochen bisher zu bieten hatten.

Quelle: Kurier vom 13.06.2010