WARUM WOLLEN WIR NUR STÄNDIG AFRIKA HELFEN? (STUTTGARTER ZEITUNG)

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Oper Kampnagel in Hamburg zeigt Christoph Schlingensiefs neuestes Projekt: „Via Intolleranza II“.

Von Katrin Ullmann

Ein Schwarzer steht da. Mit seiner Gitarre tritt er vor einen weißen Vorhang und spricht in seiner Muttersprache. Schön klingt das, ist man versucht zu sagen. Dabei versteht man gerade mal „Burkina Faso“ und „Nono“. Vermutlich spricht dieser Mann eine der sechzig einheimischen Sprachen Burkina Fasos und erzählt von Christophs Schlingensiefs Projekt „Via Intolleranza II“. Auf Luigi Nono bezieht sich Schlingensief darin, auf dessen bei der Biennale 1961 in Venedig uraufgeführte Oper „Intolleranza 1960“. Nonos gesellschaftskritisches Opus zählt zu den Schlüsselwerken der europäischen Oper des zwanzigsten Jahrhunderts.

Doch wen interessiert das in Afrika? Im westafrikanischen Burkina Faso immerhin entsteht das erste afrikanische Operndorf. Initiiert hat es Christoph Schlingensief, seit Anfang des Jahres wird das Operndorf Remdoogo gebaut. Mit Schule, Krankenhaus, Café und Werkstätten für Kinder und Jugendliche ist es ein Kunstprojekt für eine bessere Welt – und die Oper als die Disziplinen vereinende Kunstform soll die ideologische Schirmherrschaft haben. Das zumindest ist der Ausgangspunkt. Doch den stellt Christoph Schlingensief nun selbst mit seinem Projekt „Via Intolleranza II“ wieder infrage.

Denn nach einem bisschen afrikanischem Gänsehautgesang mit stimmungsvoller Farbfilmhintermalung folgt Brigitte Cuveliers großartige Rede als „Theaterbeauftragte des Goethe-Instituts“. Wenn sie sich für die Spendenbereitschaft bedankt, von der Authentizität der „echten Menschen“, der Unterstützung aller Afrikavertretungen und von dem „tollen Ergebnis“ schwärmt, dann zeigt sich darin nicht nur eine herrliche Persiflage voll feinsinniger Ironie, sondern vor allem auch die selbstkritische Sinnfrage seitens der Macher.

Schlingensief unterteilt den Abend in Kapitel wie „Die innere Sintflut bricht aus“ oder „Die Ausweitung der ,Schwarz“- Phase“, das Finale überschreibt er schließlich mit „Keiner hilft keinem“. Luigi Nonos Musik wird, wenn überhaupt, vom Handy abgespielt. Zwischendurch treten schwarze Rapper auf und weiße Schauspieler, Übersetzer, Sänger und Musiker. Sie erzählen von Landflucht und Folter, suchen nach dem „europäischen Kunstkodex“, zitieren Tristan und Isolde genauso wie Martin Scorseses „Taxi Driver“.

Mal geben die weißen Vorhänge den Blick frei auf naiv bemalte Pappkartonhütten oder dramatisch-sakrale Kerzenprojektionen. Dazwischen wird wild „Hallelujah“ gesungen und getanzt, es werden europäische Helfergefühle und Afrikaklischees infrage gestellt, die ersten Grundmauern des Operndorfes gezeigt und Carl Hagenbecks praktizierte Völkerschauen als Konzentrationslager bezeichnet.

Virtuos bewegt sich Schlingensief an der Grenze zwischen Dokumentation und Fiktion, zwischen Ernst und Ironie. Ist unterhaltsam, autobiografisch, boshaft, kritisch und persönlich. Auch dieser – immer wieder berührende – Abend ist eine Beschäftigung mit Grenzen, mit kulturellen und ideellen sowie mit dem Tod.

Die Mischung aus Chaos und Inszenierung entsteht durch die trashige Kombination von Musik, Film, Spiel und Tanz. Doch diese „Via Intolleranza“ ist tatsächlich auch eine ganz persönliche „Via Dolorosa“: Beginnt doch Schlingensiefs sehr persönliche, überbordend vielschichtige und opulente Arbeit mit seinem hochengagierten „Ich helfe Afrika mit Musik“-Wunsch – und endet mit einem lauthals schallenden „Geld geben und raushalten aus Afrika!“-Aufruf. Denn, so sagt er selbst: „Alles andere ist eigentlich nur Anmaßung.“

Quelle: Stuttgarter Zeitung vom 26.5.2010