Laudatio von Peter W. Jansen, anläßlich der Verleihung des Filmpreises der Stadt Hof an Christoph Schlingensief im Rahmen der Hofer Filmtage 2005
Jedenfalls hat er mich seitdem mit Freundlichkeiten geradezu überschüttet, worauf ich prompt alle seine schlimmen Filme, sofern ich ihrer habhaft werden konnte, über den grünen Klee gelobt habe. Zum Beispiel 100 Jahre Adolf Hitler – Die letzte Stunde im Führerbunker. Das muss im Februar 89 in Berlin gewesen sein. Es war saukalt und schon nach Mitternacht, aber es gab, glaub ich, nur diese einzige Vorstellung im alten Kino Arsenal in der Welserstrasse. Denn dort hatte das Forum, das sich offenbar weder-noch traute, also weder Schlingensief abzulehnen noch ihn vollekanne im Delphi zu präsentieren, dort hatte man diese irrwitzige Groteske entsorgt. Als jetzt, vor einem Jahr, der millionenschwere Ganz-Hitler-Untergang oder Untergang-Ganz-Hitler oder Hitler-Ganz-Untergang aus dem immer noch fruchtbaren Schoss kroch, war spätestens klar, dass die letzte Stunde im Führerbunker längst ihre mustergültige Darstellung gefunden hatten: weil man auf eine Groteske nur mit einer Groteske antworten kann. Wie Lubitsch mit To Be Or Not To Be, Mel Brooks mit Springtime for Hitler und Jerry Lewis in Which Way to the Front hat dieser Schlingensief dem deutschen Wahnsinn die Stirn geboten und ihm das Kains-Zeichen eingebrannt. Und das für eine Handvoll Dollar.
Oder, meine Damen und Herren, denken Sie an das Deutsche Kettensägenmassaker. Das war wieder hier, wo die Filme über die Leinwände toben, hier also in Hof, nahe der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze. Am 26. Oktober 1990, und der 24jährige war inzwischen 30 geworden. Und die sogenannte deutsche Wiedervereinigung hatte gerade erst stattgefunden, wenigstens offiziell, denn wirklich stattgefunden hat sie noch lange nicht, auch wenn wir inzwischen von einer Ossi regiert werden sollen. Das ist, wie wir wissen, nicht ohne Hauen und Stechen abgegangen, und sie wird ja inzwischen auch von einer Weisswurst bombadiert, das hätten wir spätestens schon vor 15 Jahren wissen müssen: das ist und bleibt ein deutsches Kettensägenmassaker. Und auch wenn die Ossis inzwischen den Dreh heraushaben, nicht in den Fleischwölfen der Wessis verwurstet zu werden: dieser Schlingensief hatte es ihnen angesagt und die Wurstfabrik namhaft gemacht, die dann zum Beispiel den Titel „Treuhand“ tragen sollte. […]
Oder, meine Damen und Herren, denken Sie an den 28. Oktober vor zehn Jahren, denken Sie an United Trash [..] und an das, was auf dieser Spielwiese namens Afrika alles passiert ist von deutschen Mannschaften vor hundert Jahren und in den letzten Jahren von allen möglichen Spielwütigen selbst aus den eigenen Reihen. Wer wem ins Tor geschissen oder ans Bein gepinkelt und wer welchen Schiedsrichter massakriert hat. United Trash oder United Fruit oder United Nations – alles eine Mischpoke, und dieser Schlingensief, dieser Wirrkopf, für den viele ihn immer noch halten und sich allerdings kaum noch trauen, ihn auch so zu nennen, Schlingensief ist, halten zu Gnaden, ein Visionär. Und wenn mich etwas wundert, dann: dass er nicht längst Professor ist am Max Planck Institut für Chaostheorie. […] Man sollte ihn zum Doktor h.c. der Seismografie ernennen.
Was er sonst so alles veranstaltet hat: den meisten von ihnen muss man das nicht erzählen. Sie können es auch im Internet nachlesen, wo es bei Google 180.000 Verweise auf den Namen Schlingensief gibt. Und wo Sie lesen können, dass es ihn abermals nach Afrika getrieben hat, an die Lüderitzbucht in Namibia, wo am 26. Oktober eine wichtige Klappe, die Schlussklappe von The African Twintowers gefallen sein soll. Und wo, wie immer bei Schlingensief, das organisierte Chaos das Gebot der Schlingensiefschen Ordnung war. In Namibia wie einst am Wörthersee oder in Wien oder am Rosa-Luxemburg-Platz, wo er immer wieder mal eine Schote platziert, eine Schote, die ziemlich geräuschvoll platzt. […] Was einen wie Schlingensief nicht jucken kann, denn ihn jucken schon längst die nächsten Projekte, ob in Bayreuth oder in Neuhardenberg. […]
Ich hab es eben schon angedeutet, ich muss es jetzt deutlicher sagen. Mir gefällt der Schlingensief, der eine richtige grosse Wut hat auf alles, was nach Feierlichkeit aussieht und nach Heuchelei riecht: was an verborgenen Wünschen, Ängsten, Träumen, Aggressionen sich abspielt in dieser Gesellschaft. Wenn er nichts versteckt oder verdrängt, wenn er die Blumen des Bösen blühen lässt. Schlingensief wird – so hoffe ich jedenfalls – immer Aussenseiter bleiben. In der Nachfolge von Dada und Surrealismus, ein Anarchist, der in der Liga von Buñuel und Artaud, von Oskar Panizza und Otto Mühl und Jean Genet kickt. Das ist eine Ästhetik des Protestes, nicht der Affirmation. Einen altersweisen Schlingensief kann ich mir so wenig vorstellen wie ich mir seinerzeit einen altersweisen Fassbinder vorstellen konnte. Dass Schlingensief ihn jetzt schon biologisch überrundet hat, muss nicht schlimm sein. Buñuel – und das ist ein Trost – ist immerhin 83 geworden und vollkommen taub, aber weise ist er so wenig geworden wie er jemals Mode war. Das Schlimmste, was so einem passieren kann, ist: dass ihn niemand mehr kritisiert. […]