Darüber konnte auch der teils frenetische Beifall nicht hinwegtäuschen: Christoph Schlingensiefs Opern-Collage «Mea Culpa» entließ viele Besucher des Münchner Nationaltheaters am Sonntagabend mit einem beklemmenden Gefühl der Ohnmacht einem unabwendbaren Schicksal gegenüber.
Zu ehrlich und schonungslos offen breitet der ebenso gefeierte wie umstrittene Film- und Theaterregisseur seine schwere Lungenkrebserkrankung auf der Bühne aus. Da helfen auch die wenigen zuversichtlich stimmenden Sentenzen nicht. Schlingensief legt den Finger in die Wunde oder besser gesagt in den von Metastasen befallenen verbliebenen Lungenflügel, was freilich etliche Besucher nicht davon abhielt, sich unmittelbar nach Ende der Vorstellung genüsslich eine Zigarette anzuzünden.
Seine «ReadyMadeOper» aus Versatzstücken von Film, Text und Musik unter anderem von Johann Sebastian Bach und Richard Wagner, Johann Wolfgang von Goethe oder Elfriede Jelinek ist der letzte und noch optimistischste Teil einer autobiografischen Trilogie des 48-Jährigen um Sterben und Tod. «Mea Culpa» hatte im März am Wiener Burgtheater Premiere. Für das Gastspiel an der Bayerischen Staatsoper – am heutigen Montag wird das Stück dort noch einmal gegeben – ist das komplette Ensemble von der Donau an die Isar gereist.
Es gibt amüsant-komische Szenen von einer Ayurveda-Klinik für wohlhabende Alte, in der das Sterben ausgeklammert, aus der aber dann doch die Leichensäcke herausgetragen werden. Im 2. Akt wird für den «Parsifal» geprobt, es geht drunter und drüber, ehe zum Schluss der Tod hörbar anklopft. Schlingensiefs Vater will den krebskranken Sohn schon mal in die Ewigkeit holen, doch der lehnt ab: «Es ist zu früh. Ich mag noch nicht.»
Was die Darsteller beim Proben für das Gastspiel auf der Bühne im Nationaltheater vielleicht noch nicht wussten: Die rigorose Auseinandersetzung von Schlingensief mit der teils noch immer tabuisierten Diagnose Krebs hat eine neue traurige Aktualität erlangt. In diesen Tagen wurde bekannt, dass der Lungenkrebs bei dem 48-Jährigen erneut ausgebrochen ist. «Die Krankheit ist zurück, und dennoch bin ich gut drauf und habe Kraft für meine nächsten Projekte», sagte Schlingensief der Deutschen Presse-Agentur dpa. Das Ergebnis der jüngsten Untersuchung sei freilich traurig für ihn und seine Frau. «Aber ich will jetzt öffentlich nicht mehr viel darüber jammern, sondern andere ermutigen und mich selbst vielmehr auf mein Afrika-Projekt konzentrieren.»
Das tat er denn auch reichlich in «Mea Culpa». Eifrig wirbt das Stück für sein Opernhaus. Dabei schreckt das einstige «enfant terrible» der Opernregie auch vor einem Vergleich zu den Bayreuther Festspielen nicht zurück. «Vom Grünen Hügel zu den grünen Hügeln Afrikas» spielt er mit Worten. Überhaupt, Christoph Schlingensief und Richard Wagner: Immer wieder nimmt der 48-Jährige für «Mea Culpa» Anleihen beim «Parsifal», einmal trinken die Protagonisten sogar aus einer Art Gral ein lebenspendendes Elixier. Mit seiner Deutung des «Bühnenweihfestspiels» spaltete der Regisseur 2004 das Bayreuther Publikum.
Wird bei den vielen Monologen und Dialogen samt Filmeinspielungen der Kloß im Hals der Zuschauer ohnedies schon immer dicker – als Schlingensief gegen Ende des «Bühnenkrebstrauerspiels» selbst auf die Bühne tritt und dem Tabubruch mit der schlimmen Krankheit lautstark das Wort redet, wächst die Beklemmung im Publikum spürbar. Viele Zuschauer mögen es als Erlösung empfunden haben, dass der kranke Regisseur sich am Ende guten Mutes tosenden Beifall im ausverkauften Haus abholte. Aber auch Schauspieler wie Fritzi Haberlandt, Irm Hermann, Margit Carstensen und Joachim Meyerhoff ließen sich ausgiebig feiern. Zu guter Letzt vielleicht doch ein Funken Hoffnung? Wie lässt Christoph Schlingensief sein Alter Ego auf der Bühne den nahen Tod besiegen: «Ich will nicht auf einer Wolke sitzen. Es gibt so viel zu tun.»
dpa