DER AFRIKANISCHE TRAUM (3SAT)

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Christoph Schlingensief reist durch Afrika, um einen geeigneten Ort für sein Festspielhaus zu suchen. Der 48-jährige Regisseur hat inzwischen viele Unterstützer gefunden: allen voran das Goethe-Institut, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und die Kulturstiftung des Bundes. Im Juli 2009 hat der schwedische Bestsellerautor Henning Mankell Schlingensief in Mosambiks Hauptstadt Maputo eingeladen.

Christoph Schlingensief und Henning Mankell haben sich als Juroren auf der Berlinale 2009 kennengelernt. Mankell hat in der Hauptstadt von Mosambik schon vor mehr als 20 Jahren ein Theater ins Leben gerufen. Seitdem pendelt er zwischen Schweden und Afrika. Christoph Schlingensief hat eine ähnliche Vision: Er will ein Festspielhaus in Afrika eröffnen und sucht nach einem geeigneten Ort. „Als wir uns auf der Berlinale getroffen haben, hatten wir sofort einen Draht zueinander“, sagt Schlingensief. „Das habe ich gleich gespürt. Das war großartig. Ich habe gesagt: Ja, ich komme nach Mosambik. Und du dachtest wohl eher: Jaja, das wollen wir mal sehen.“

Mankell

Eine wunderbar verrückte Idee

„Ein Festspielhaus, eine Oper zu eröffnen, ist eine wunderbare und zugleich absolut verrückte Idee“, erklärt Henning Mankell. „Und weil die Idee verrückt ist, ist sie eben so wundervoll. Christoph Schlingensief ist sehr leidenschaftlich. Er wird einen Weg finden, seinen Traum zu realisieren. Er hat die Fähigkeit. Ich werde ihn in allem unterstützen, gleichgültig, für welchen Ort er sich entscheidet. Er kommt nicht einfach aus Deutschland hierher mit einer ‚deutschen Oper‘ im Gepäck. Nein, er kommt hierher, um den Menschen hier ihr eigenes Festspielhaus zu ermöglichen, das sie dann selbst mit Leben füllen.“

Im Januar 2009 ist Kamerun das erste Reiseziel dieser Mission. Schlingensiefs Wunsch ist ein Haus mit Probenräumen, Krankenstation und Schule. Es muss kein Neubau sein. Alles ist denkbar. Burkina Faso ist im Mai die zweite Station: Christoph Schlingensief reist mit dem renommierten Architekten Francis Kéré. Kéré hat in seinem Heimatdorf Gando, fernab der Hauptstadt, seine Vision wahr gemacht und eine Schule gebaut. „Ich finde es vom Prinzip ganz toll, dass hier die Kinder von Francis die Schule – auch als utopisches Projekt – realisiert haben“, so Schlingensief. „Das funktioniert und muss immer ausgebaut werden, wegen Riesennachfrage. Wenn hier Buchstaben unterrichtet werden, werden dahinten eben Noten unterrichtet oder Musik. Das passt super zusammen. Das ist ein Traum. Vor einem Jahr lag ich noch flach und habe gedacht, ich komme gar nicht mehr aus dem Bett. Und jetzt erlebt man so etwas: Das ist ein Geschenk, ein Wahnsinns-Geschenk.“

Francis Kéré

Schlingensief will so viel wie möglich sehen

„Ich selber bin sehr beeindruckt, was für eine Energie hinter diesem Kerl steckt“, sagt Kéré über Schlingensief. „Unsere Kultur hat eine Bewunderung für so eine Energie, die aus einem Zustand heraus entsteht. Christoph war krank, und Afrika ist in seinem Herzen. Wenn die Leute das hören, ist es für sie wirklich eine wunderbare Geschichte. Man fühlt sich wichtig. Und man ist mit ihm und hofft, dass das, was er vor hat, wirklich tatsächlich umgesetzt wird.“ Schlingensief möchte so viel sehen wie nur möglich – auf dem Land wie in der Hauptstadt von Burkina Faso, Ouagadougou. Er besucht eine Filmschule, die Gaston Kaboré in langjähriger, harter Arbeit aufgebaut hat. Auch die beiden haben sich auf der Berlinale zum ersten Mal getroffen. Und es ist wie so oft auf diesen Reisen: Schlingensief löst mit seiner Idee Begeisterung aus.

„Ich hoffe sehr, dass die Oper gut läuft“, sagt Gaston Kaboré. „Wo immer sie auch entstehen wird, gebe ich dir die besten Wünsche mit auf den Weg. Wenn es hier in Burkina wäre, wäre das fantastisch.“ Auch der Film ist Schlingensiefs besondere Leidenschaft. In Maputo hat er deswegen noch ein altes leer stehendes Kino im Visier. Die Suche nach dem richtigen Ort ist zu einer wichtigen Inspirationsquelle für Schlingensief geworden. Er saugt die gewonnenen Erfahrungen regelrecht auf. Die vielen Eindrücke, die vielen Gespräche ebnen den Weg für sein Festspielhaus in Afrika. Sie sind lebensnotwendig. Gerade jetzt, nach seinem aufwühlenden Kampf gegen den Krebs.

Schlingensief im Kinosaal in Maputo - sein Festspielhaus der Zukunft?

Träume für die Zukunft

„Denk an die nächste Generation, an die Zukunft“, rät ihm Mankell. „Gib genau das, was du auch möchtest.“ „Ich würde niemals den Anspruch erheben zu sagen, ich bin jetzt heraus aus der Sache“, so Christoph Schlingensief. „Dafür habe ich immer noch viel zu viel Angst. Die vielen Reisen und dieses Projekt geben mir natürlich die Möglichkeit, in eine Zukunft zu denken und zu fantasieren. Sie ist für ein Leben natürlich wunderbar. Die Zukunft zu befragen und sich selbst auch in der Zukunft zu spiegeln, vor allen Dingen die Frage zu stellen: Was ist für den anderen in der Zukunft wichtig, wenn ich schon weg bin? Wer hat mir eigentlich die Straße gebaut oder wer hat mir ermöglicht jetzt hier zu sitzen?“

Mit jeder Reise kommt er der Verwirklichung seines Traums einen Schritt näher: einem Festspielhaus in Afrika. Ob in Mosambik, Kamerun oder Burkina Faso – bald wird sich Christoph Schlingensief für seinen Ort entscheiden.

04.08.2009 / Sibylle Dahrendorf für Kulturzeit