KREISENDE GEDANKEN FINDEN EINEN BODEN (OÖN)

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Am Montag las der seit 2008 an Lungenkrebs leidende Regisseur und Aktionskünstler Christoph Schlingensief im übervollen Linzer Wissensturm aus seinem Buch „So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!“. Die OÖN trafen den 48-jährigen Berliner zum Gespräch.

Von Peter Grubmüller

OÖN: Der Titel Ihres Buches, bedurfte es Ihrer Krankheit, um zu dieser Erkenntnis zu kommen?

Schlingensief: Im besten Fall nicht. Ich frage mich auch selbst, warum ich so etwas erleben muss, damit ich solche Momente erstmals spüre. Das ist paradox, aber menschlich. Wenn ich andere Menschen beobachte, die in den Tag hineinleben, als wären ihnen alle Gefahren wurscht. Das ist auch gut so, weil man nicht permanent auf Zehenspitzen herumlaufen soll. Aber ich wundere mich über die Leichtigkeit, mit der manche Leute Drogen nehmen oder jeden Psychostress in sich hineinfressen, auch weil sie die Liebe, die sie nicht mehr annehmen können, anderen geben wollen. Ich selbst merke, dass ich auch schon wieder Tempo aufnehme und zu mir sagen muss: Komm! Abschalten!

OÖN: Gehorchen Sie Ihren Selbstermahnungen?

Schlingensief: Ich bin fast schon wieder so extrem wie früher. Aber ich bin etwas lahmer, das bringt mich dazu, dass ich Leute im Café angucke und mich frage, was die alles zur Selbstdarstellung unternehmen. Handy an, Handy aus, da was aufschreiben, dort reden. Früher hatte ich auch zwei Handys, jetzt hab’ ich nur mehr eines. Man denkt, man ist beschäftigt. Ich kenne Leute, die gehen zur Arbeit, obwohl sie arbeitslos sind. Nur, damit Verwandte denken, dass sie noch einen Job haben.

Christoph Schlingensief

OÖN: In Ihrem „Mea Culpa“ im Burgtheater will der Held trotz vieler Angebote aus dem Jenseits ins Leben zurück. Waren Sie kurz davor, Angebote aus dem Jenseits anzunehmen?

Schlingensief: Ich dachte oft daran, mich umzubringen. Ein Gedanke ist ja auch, mit Schmerzmitteln nach Afrika zu gehen und dort zu sterben. Das ist romantisch, ich setzte es aber nicht um, sondern ich hab’ mit meiner Freundin und Freunden eine Abmachung. Sie gucken, dass ich mich nicht durch weitere Chemo-therapien so weit von meiner Seele entferne, dass ich mir selbst fremd werde. Wenn ich einmal sterben werde, sterbe ich nicht mit Schmerzen. Jesus hat man auch in die Seite gestochen – nicht, weil es schön aussah, sondern weil es den Tod beschleunigt hat. Das war auch damals ein Akt der Sterbehilfe. Meine Freunde haben sich bereit erklärt, mich als Mensch sterben zu lassen und nicht mit drei Schläuchen im Arsch und fünf im Kopf.

OÖN: Grübeln Sie jetzt beim Applaus, was beklatscht wird? Ihre Kunst oder Ihr medial beachteter Umgang mit der Krankheit?

Schlingensief: Im Burgtheater lachten die Leute oder waren zu Tränen gerührt, das passierte nicht meinetwegen, sondern wegen des Stücks. Und wenn manche jetzt meinen, ich hätte Erfolg, weil ich krank bin, dann sage ich, dass viele Kranke vielleicht auch wegen des Buches anfangen, über sich selbst zu reden. Es ist großartig, wenn die Menschen erfahren, dass sie über Ängste reden dürfen, weil Ängste das Schlimmste sind, was man erlebt.

OÖN: Warum halsen Sie sich auch noch dieses Burkina-Faso-Projekt (Bau von Schulen und einer Oper, Anm.) auf?

Schlingensief: Ich halse mir nichts auf, das ist die größte Kraftquelle. Ich wollte immer künstlerische Projekte machen, in denen Soziales mit dabei ist. Das war schon bei der Obdachlosen-Geschichte in Berlin so oder beim Container-Projekt in Wien, aber ich hab’ danach nie gesehen, dass Leute praktisch davon profitiert haben. In der Schule, die wir in Burkina Faso bauen werden, lernen die Kinder schreiben, ihren Namen auf ein Zettelchen, das sie dann ihrer Freundin zustecken, das ist Zukunftsbeschreibung. Sie sollen ja nicht gleich einen Uni-Abschluss machen. Das ist eine soziale Plastik. Ich baue etwas, das es gibt, das aber noch nicht zu sehen ist.

OÖN: Spielt der Antrieb „Das soll einmal von mir bleiben“ dabei eine Rolle?

Schlingensief: Nein, ich bin nicht der mit dem Denkmal. Irgendwann bin ich bei der Oper gelandet und hab’ mir gedacht, jeden Abend mit Wagnerianern zu essen ist kein Vergnügen, das kann es nicht sein. Dann war ich in Bagdapur (Nepal, Anm.) und traf einen Mann, dessen Sohn im Alter von vier Jahren überfahren wurde. Es gab dort kein Krankenhaus, das Kind ist verblutet. Was hat er dann gemacht? Er hat Arzneien besorgt und ein Röntgengerät, inzwischen auch ein Altenheim gebaut. Ich war begeistert, so, als hätten die kreisenden Gedanken endlich einen Boden gefunden. Mein Bedürfnis war es immer, einen Grund für das zu finden, was ich eigentlich tue. Und ich brauche das Gefühl, es nicht nur für mich zu tun.

1.7.2009