„ICH WILL MEIN STERBEN AUSHALTEN!“ (ZDF ASPEKTE)

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Das Tagebuch von Christoph Schlingensief. Aus: aspekte vom 17.04.2009

Zeige Deine Wunde! Das war über Jahrzehnte Christoph Schlingensiefs Appell. Und er hat auf der Bühne oder vor der Kamera immer danach gehandelt. Sich nicht geschont. Christoph Schlingensief trug bei seinen Aktionen immer seine eigene Haut zu Markte. Früher konnte man das vielleicht manchmal für kokett halten, für blasphemisches Rollenspiel. Es war immer mehr. Das erweist sich jetzt.

Im Januar 2008 wurde bei Schlingensief Lungenkrebs diagnostiziert. Als er spürt, dass mit ihm etwas nicht in Ordnung ist und in die Mühlen der Medizin gerät, beginnt er, Tagebuch nicht zu schreiben, sondern zu sprechen. Jeden Abend spricht er in ein Diktaphon: Nicht nur die ärztlichen Bulletins, sondern alles, was ihm durch den Kopf geht, vor allem gesteht er seine Ängste ein, vor der Operation, dem Ergebnis der histologischen Untersuchung, der Chemotherapie.

„Du löst dich in Wurmscheiße auf!“

Er hadert, mit Gott, vor allem mit der Kirche. „Lieber Gott, ich würde so gerne sagen, dass ich auf dich und deine Leute scheiße.“ Er hadert mit seinen Eltern, am meisten mit sich selbst. „Ich bin schon lange tot. Und jetzt bin ich noch töter.“ Er rettet sich in Lakonie, Galgenhumor „Ja, Christoph, das bist jetzt du, du löst dich in Wurmscheiße auf!“

Schlingensiefs Bericht kann sich schon deswegen niemand entziehen, weil er jeden auf eine sehr drastische Weise an die eigene Sterblichkeit erinnert. Das Buch ist der Versuch, sich und die Krankheit von außen zu betrachten, dadurch Autonomie zu bewahren. Das macht es lesenswert. Schlingensief hat ein Selbstermutigungstalent, sich immer wieder aus der Depression herauszuziehen – durch seine Art, mit sich und anderen im Gespräch zu bleiben, sich mitzuteilen. Sich trotz Rundum-Versorgung das eigene Denken nicht abnehmen zu lassen, ist ihm wichtig, und gleichzeitig, darin liegt eine Paradoxie, auch eine gewisse Gelassenheit zu lernen.

„Eine Hinterlassenschaft ist mir wichtig“

Immer wieder sucht er nach Gründen für die Krankheit: „Werde ich jetzt für irgendetwas bestraft?“ Keine Bedeutung mehr für andere zu haben, kein Besonderer mehr zu sein, davor hat Schlingensief die größte Angst. „Für uns bist du nix. Das ist der wahre Alptraum.“ Er macht sich Gedanken darüber, welches Bild er am Ende seines Lebens abgeben wird: „Eine Hinterlassenschaft ist mir wichtig“. Aber er kennt auch seine Lust an der Selbstdarstellung, und fährt sich, wenn er zu verstiegen formuliert, selber in die Parade: „Mach mal halblang. Komm runter, komm mal wieder ins Bild.“ Er überlegt, wie man am besten Kontakt zu Leuten aufnimmt, die schon gestorben sind und wo er am liebsten wiedergeboren werden möchte.

Nach glücklich überstandener Chemotherapie schwadroniert er sich ins Leben zurück: „Ich hab keinen Bock auf Himmel, ich habe keinen Bock auf Harfe spielen und singen und irgendwo auf einer Wolke herumgammeln.“ Manchmal gelingen dabei imponierend leichte und imponierend kluge Formulierungen: „Das ist eben das Paradox mit Gott. Da ist einer weg, ist nicht da, aber troztdem ganz nah bei uns. Wenn jemand nicht da ist, dann ist er vielleicht einfach das Ganze. Wenn jemand da ist, dann sieht man, dass sein Haaransatz zurückgeht oder er beim Reden lispelt. Wenn jemand da ist, dann sieht man halt die Bescherung. Deshalb ist Gott lieber nicht da. Dann kann er alles sein und selbst in seiner Abwesenheit anwesend sein.“ Wer so salopp 2000 Jahre Philosophiegeschichte auf den Punkt bringen kann, der ist hier unverzichtbar.

Zum Buch:

Christoph Schlingensief: „So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!“

Tagebuch einer Krebserkrankung, Kiepenheuer&Witsch, April 2009.