„EIN BISSCHEN ANGST BLEIBT IMMER“ (KURIER)

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Christoph Schlingensief über das Heilig-Getue um Wagner, das Glück bei der Arbeit, seinen Umgang mit Krebs und Kritik.

Die ersten Aufführungen von „Mea Culpa“ am Burgtheater sind vorbei, doch Christoph Schlingensief kommt mit seiner ReadyMadeOper wieder . Ein Gespräch über die Entwicklung seiner Arbeit und seiner Krebs-Erkrankung – was für den Künstler untrennbar verbunden ist.

KURIER: „Mea Culpa“ wurde sehr bejubelt. Wie waren die Tage am Burgtheater für Sie?

Christoph Schlingensief: Ich freue mich sehr über diesen Erfolg. Nicht nur, weil er mir zeigt, dass dieser Abend die Gefühle des Publikums berührt, sondern vor allem auch, weil so viele Leuteso überzeugend an dieser Arbeit beteiligt sind, die man nicht unbedingt auf der Bühne des Burgtheaters erwartet.

Darunter ist die ehemalige Staatsopern-Chorsängerin Elfriede Rezabek, die mit 82 Jahren den „Liebestod“ singt . ..

Das ist so wahr, so rein, so wagnergenau, dass ich fast jedes Mal heulen musste. Und für Elfriede ist es der größte Traum, der hier in Erfüllung gegangen ist. Jeden Abend kommt sie und bedankt sich. Sie trauert um ihren Mann, und wie ich es verstehe, singt sie jeden Abend für ihn. Das ist die Kraft, die der Wagnermusik im Musikgeschäft so oft verloren geht.

Nach all ihren Arbeiten mit Richard Wagners Musik, wie stehen Sie heute zu ihm?

Richard Wagner war ganz sicher ein großer Chaot. Kein Heiliger. Er war Frauenheld, geldarmer Depp, in gewisser Weise drogenabhängig, unordentlich, fanatisch, revolutionär und beschissen antisemitisch. Was Bayreuth aus ihm gemacht hat, hat nichts mehr mit Wagner zu tun. Zum Glück haben nun Eva und Katharina übernommen, damit dieses Heilig-Getue endlich beendet wird.

Werden Sie sich weiter mit Wagner beschäftigen?

(lacht) Ich werde Wagner allein in den nächsten fünf Jahren fast sieben Mal inszenieren. Und ich werde ihn so zeigen, dass sein wahrer Kern wieder zum Vorschein kommt. Dann ist Bayreuth ein Opernhaus wie jedes andere auch auf der Welt.

Ihr Ruhrtriennale-Projekt ist zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Ist es möglich, diese Arbeit, die „Mea Culpa“ voranging, wieder so zu zeigen, wie sie war?

Ich werde sie nur dem Raum im Haus der Berliner Festspiele anpassen. Die „Kirche der Angst“ ist eine Arbeit aus dem September 2008. Da war ich noch sehr zerbrechlich, sehr unsicher, und gleichzeitig so überrascht, wie viele wunderschöne Geschenke zu mir gekommen sind: Endlich wieder mit meinen liebsten Freunden zu arbeiten, mit einem wunderbaren Team.

„Mea Culpa“ wirkt da schon hoffnungsfroher …

Es hat sich viel getan. Ich nehme zwar noch nicht richtig zu, aber ich habe mehr Kräfte und Freude als je zuvor. Ich habe soviel gelacht, und man merkt diesem Abend auch an, dass es hier nicht nur um „meine Leidensgeschichte“ geht, sondern dass diese Texte, Episoden für eine Gesellschaft stehen, die sich vor Kranken, Alten fürchtet, oder wo Kranke Angst haben sich zu äußern. Millionen von Menschen haben so einen Krebs und leiden still vor sich hin. Ich habe mich nach Texten von Kranken gesehnt, um mal zu hören, ob die sich auch geschämt haben, ob die auch Angst hatten, dass sie vielleicht verlassen werden oder dass sie sexuelle Probleme bekommen haben, usw … Ich versuche, das fühlbar zu machen.

Bei der Premiere waren Theater-, Musik- und Kunstkritiker im Publikum …

In der sechsten Vorstellung saß Paulus Manker neben Michael Heltau, der Operndirektor aus Brüssel neben dem aus Helsinki, Kuratoren aus New York neben denen aus Tokio, usw … Die Leute interessiert nicht mehr, ob da eine Nike Wagner auf ihrem Wagner rumhockt und schlechte Luft verbreitet. Endlich gehören all diese Dinge ein bisschen so zusammen, wie es auch Wagner mal vorhatte, aber unter den öffentlichen und privaten Bedingungen seiner Zeit nicht auf die Reihe brachte. Die Geschichten, die er auf die Bühne bringt, sind ja im Kern sehr kindlich. Auch mir gefallen ehrliche Sätze von Kindern. Aber: Was die Opernkunst seit Jahrhunderten den Leuten als geistiges Spitzenniveau verkauft, ist meist nicht mehr als aufgeblasene Dummheit.

In „Mea Culpa“ ist zu erfahren, dass Sie sich exzessiv mit Verrissen beschäftigen, positives Medienecho aber ignorieren – ein Rückblick, oder ist das immer noch so?

Das hat sich durch die Krankheit sehr gebessert. Ich bin gelassener geworden. Aber ich empfinde es als Glück, dass sowohl die „Kirche der Angst“ als auch „Mea Culpa“ sehr gelobt wurden, auch wenn sich das jederzeit wieder ändern kann. Ich lese auch Kritiken über die Arbeit von Kollegen gerne. Egal ob gut oder schlecht. Der Beruf des Kritikers hat absolut seine Berechtigung. Bei den lebendigen Kritikern kann man sogar manchmal etwas lernen, aus ihren Bemerkungen zu neuen Gedanken finden.

Spricht man über ihre Aufführungen, beginnen die meisten bald, zu analysieren, zu zerlegen, beweisen zu wollen. Ist nicht genau das die Falle, in die viele tappen?

Wenn sie interpretieren und analysieren, dann ist das nichts Schlimmes. Wenn sie es krampfhaft tun, weil es ihnen die Schule so beigebracht hat, dann werden sie merken, mit wie wenig Intuition sie dem Kunstwerk begegnen. Ich mag Menschen, die klug sind und trotzdem schrankenlos intuitiv geblieben sind.

In „Mea Culpa“ heißt es, das von Ihnen geplante Festspielhaus in Afrika würde das Ende des Gastspiels bedeuten. Wie meinen Sie das?

Dass wir aufhören sollten, im Ausland unsere Gedichte vor Österreichern oder Deutschen vorzulesen, um uns dann ganz international zu fühlen. Wir müssen wie Humboldt einfach mal wieder raus, fremde Kulturen kennenlernen, damit wir unsere Heimat mit Sauerstoff versorgen. Vor drei Jahren hat man chinesisches Porzellan an der Grenze Südafrika/Botswana gefunden, aus der Zeit von 2500 Jahren v. Chr. – da muss man bei uns lange graben.Wir haben sehr viel in Afrika geklaut und unser unverschämter Kolonialwahn hat alles niedergewalzt. Wir müssen erstmal zur eigenen Ausbildung nach Afrika fahren.

Sie haben das ja auch schon drei Mal gemacht …

Ja, mir hat das extrem geholfen. Raus aus dem eigenen Schlamm, rein in etwas wirklich Neues, Fremdes, Faszinierendes … Alles was ich in Brasilien, am Amazonas, oder in Afrika gelernt habe, möchte ich nie mehr missen! Und dann komme ich zurück und zeige was ich gesammelt habe. Dinge aus Afrika nach Bayreuth zu bringen, das war das reinste Glück. Nix wie los! Schickt die jungen Leute raus in die Welt. Wir brauchen demnächst Menschen, die uns helfen, hier zu überleben. Die in Afrika kommen ohne uns ganz gut zurecht. Nicht jeder Internetanschluss führt zur Befriedigung.

Strengt ihre künstlerische Tätigkeit Sie an, oder beziehen Sie daraus Kraft?

Ich beziehe daraus sehr viel Kraft. Nur, wenn es zu Ende geht, … dann werde ich meist ängstlich und traurig. Zum Glück läuft „Mea Culpa“ demnächst wieder, und auch in der neuen Spielzeit von Matthias Hartmann, der das übernimmt. Super !

Wie geht es Ihnen?

Danke gut! Ein bisschen Angst läuft immer mit, aber wer hat das nicht. Ich habe es nur ein bisschen mehr. Ich liebe das Leben und das Arbeiten! Und ich liebe die Liebe meiner Freunde!

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Artikel vom 28.03.2009, Kurier.at, Caro Wiesauer