EWIGES LEBEN, EWIGER SPASS (WIENER ZEITUNG)

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Das Spiel mit dem Tod: Schlingensiefs ReadyMadeOper „Mea Culpa“

Von Petra Rathmanner

Ein Greis tappt einem Hünen entgegen. „Christoph!“ – „Papa!“, rufen sie einander zu. Ein bereits verstorbener Vater trifft auf der Bühne des Burgtheaters seinen schwer kranken Sohn. Die rührende Begegnung mündet in eine aberwitzige Debatte über existenzielle Fragen – „Papa, was ist das, das ewige Leben?“ – und gipfelt in einem Ausbruch des Sprösslings, verkörpert von Joachim Meyerhoff: Der Erzeuger wird ins Jenseits zurück komplimentiert, der Sohn macht lautstark klar, dass er bleiben möchte, hier, im Diesseits, unbedingt: „Ich habe noch so viel zu tun.“

Es ist, als ob Meyerhoff, der auf der Bühne dem Alter Ego des Theatermachers Christoph Schlingensief Gestalt verleiht, erst durch das Bewusstsein des Todes das Leben als Wunder begreife.

Komik und Katastrophe

Das fortgesetzte Spiel mit dem Tod: Im Rahmen des Theaterabends „Mea Culpa“ thematisiert der deutsche Regisseur erneut auf so persönliche wie ergreifende Weise seine im Vorjahr diagnostizierte Lungenkrebs-Erkrankung. Nach dem szenischen Bericht „Der Zwischenstand der Dinge“ und der Studie „Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“, einer Art Fluxus-Requiem zu Lebzeiten Schlingensiefs, bearbeitet der Aktionist in „Mea Culpa“ nun den an einer Stelle im Programmheft mit „Sterben müssen, aber leben wollen“ umschriebenen Ablebens-Komplex geradezu launig, leichtfüßig.

Kitsch, Komik und Katastrophe liegen hier nah beieinander. Pointiert, mitunter ins Groteske überzogen, führt Schlingensief die Grenzen der Schulmedizin und der alternativen Therapieformen vor; in revueartig aneinander gereihten Szenen geht er dabei unter anderem der Frage nach, welche Heilmittel die Kunst, insbesondere die Sparte Oper, bereithält.

Ewige Entspannung

Mit dem ersten Akt aus Richard Wagners „Parsifal“, vorgetragen vom Opernsänger Joseph Damian Ortiz Garcia, setzt der Abend ein; das Ende markiert Isoldes „Liebestod“-Arie, von der Laiendarstellerin Elfriede Rezabek gesungen: Schlingensief bezeichnet seine jüngste Theateraktion als „ReadyMadeOper“. Komponist Arno Waschk verzwirbelte musikalische Versatzstücke von Wagner, Bach oder Schönberg zu einem neuen, vom Viva Musica Festival Orchestra aus Bratislava und dem Chor der Universität Wien souverän vorgebrachten Ganzen.

Die regelmäßig wiederkehrenden Operneinlagen sind gleichsam Teil einer neuartigen Therapie: Die anspielungsreiche Drehbühne (Janina Audick) soll eine Ayurveda-Klinik darstellen, gleicht jedoch eher dem Bayreuther Festspielhaus, verfrachtet in eine ghettoähnliche Landschaft, überzogen von flirrenden Videoprojektionen.

Die rund drei Dutzend Klinikinsassen und das Pflegepersonal studieren zur Genesung gemeinsam Arien und Chöre ein. Zum Brüllen komisch ist der an das Theater Christoph Marthalers gemahnende Chor im Frühstückszimmer: „Wir wollen Entspannung, Entspannung bis in alle Ewigkeit.“ Geleitet wird die Klinik von den majestätisch auftretenden ehemaligen Fassbinder-Schauspielerinnen Margit Carstensen und Irm Hermann, die hier den imposanten Namen Ann Katrin Shiva Kosma Irma Sherman trägt. In Hochform agiert Joachim Meyerhoff; Fritzi Haberlandt überzeugt als dessen Verlobte. Schlingensief selbst, der üblicherweise als Conférencier durch seine Theaterabende führt, erlaubt sich nur einen kurzen Auftritt, der nachhaltig Erschütterung auslöst: Der Regisseur trägt Krankenakten Krebskranker vor.

Flucht nach Afrika

Joachim Meyerhoff gelangt im Lauf des Abends zu folgender Erkenntnis: Potenzielle Heilung liegt in der Liebe, der Kreativität – und der Flucht nach Afrika: „Wenn man in Afrika unglücklich ist, ist man immer noch glücklicher, als wenn man in Europa glücklich ist“, heißt es im Stück.

Ein Opernhaus für Afrika, das Schlingensief tatsächlich gründen möchte, wird im letzten Akt von „Mea Culpa“ eröffnet und erweist sich für die Figuren als Rettungsanker vor Leid und Untergang.

Das Nachdenken über den Tod ist auch oft ein Nachsinnen über das Leben. Das Sterbenmüssen und Lebenwollen, von dem der Abend dominiert wird, führt eindrucksvoll vor Augen, wie das finale Ringen mit der Endlichkeit Lebensfreude und Daseinintensität fördern kann.

Vorhang, nicht enden wollender Applaus.

Wiener Zeitung, Printausgabe vom Dienstag, 24. März 2009