»ERLÖSUNG IST FÜR MICH EIN ALBTRAUM« (DIE PRESSE)

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Diesen Freitag hat am Burgtheater Christoph Schlingensiefs „Ready-Made-Oper“ „Mea Culpa“ Premiere. „Die Presse“ traf den Künstler während der Proben und sprach mit ihm über die Grenzen zwischen Kunst und Leben.

Die Presse: Ihr öffentlicher Umgang mit Ihrer Krebserkrankung ist manchmal nicht leicht zu ertragen, diese ganzen Interviews, in denen Sie detailliert den Verlauf beschreiben, Sie bedienen für mich damit vor allem den Voyeurismus des Boulevards. Und im katholischen Österreich präferiert man sowieso eher das stille Leiden und Dulden.

Christoph Schlingensief: Diese Zeitung ist Boulevard? Ich finde das Augen-Zuhalten und So-Tun, als wäre nichts, nicht bewundernswert, glaube auch nicht, dass das zur Heilung führt. Und ich tue im Moment alles, was zur Heilung führt. Für mich war es eben super wichtig, dass ich mir die Krankheit bewusst mache und dass ich das dokumentiere. Ich habe auch zahlreiche E-Mails und Briefe gekriegt von Leuten, die einfach nur wissen wollen, an wen sie sich wenden können. Ich habe einen sehr guten anthroposophischen Arzt, Dr. Grah. Und natürlich habe ich meine Tablette, die ich nehme, die habe ich auch empfohlen.

Dass Reden hilft, okay. Aber die Frage ist doch immer, mit wem?

Schlingensief: Ich habe sehr bald gespürt, dass es einen Unterschied gibt – in den Interviews, dieser „Heiligmachung“, und dem, was ich in Duisburg gemacht habe („Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“, im September bei der Ruhrtriennale, Anm.). Das besteht dann nicht daraus, dass der Schlingensief jetzt Märtyrer Nummer eins ist und aus seinem Nähkästchen berichtet. Sondern auf der Bühne geht es um das Bild, auch hier im Burgtheater. Hier geht es wieder einen Schritt weiter: Ich sage, ich war kurz in Berührung mit dem Tod, war schon im festen Glauben, es geht zu Ende, und es sah auch nicht gut aus, weil ich Metastasen gehabt habe. Die sind weg, aber ich bin misstrauisch. Es geht mir jetzt darum, dass ich hierbleiben will. Das ist für mich ganz wichtig geworden seit einer Embolie, durch die plötzlich wieder gar nichts mehr ging und eine Woche alles unsicher war. Da war für mich klar – ich bleibe hier. Seither sind alle Gedanken an einen Selbstmord weg, ich will leben, hier leben. Hier kann ich mit all den Vorgaben und Maßgaben arbeiten und denken und handeln, die mir bekannt sind. Ich habe keine Lust auf die katholische Nummer mit dem Jenseits jetzt schon.

Dabei wurden Sie in einem Text gerade erst als „glühender Katholik“ bezeichnet!

Schlingensief: Es wurde auch geschrieben, dass es in „Mea Culpa“ um Erlösung geht. Um Erlösung geht es mir überhaupt nicht, Erlösung ist für mich ein Albtraum.

Also keine Erlösung, keine Himmelsfahrt am Ende der Oper?

Schlingensief: Nein, ich will diese angelernte Erlösung nicht haben, ich brauche die nicht. Für mich ist das überhaupt kein Begriff, keine Suche. Ich will einfach die Situation des Hier-Lebens, des Bestimmens, die will ich haben. Und was ich darüber berichte, ist mein eigenes Bier. Und ich merke jetzt erst wieder – alles, was ich darüber dokumentiert habe, kommt mir zugute, hat mir nicht geschadet, und was andere darüber schreiben, auch nicht.

Also doch nicht katholisch?

Schlingensief: Was wollen Sie denn?

Agnostisch? Atheistisch?

Schlingensief: Ich sage nur: Ich bleibe hier und kämpfe darum und mache hier jetzt weiter. Weil diese Möglichkeiten, die ich jetzt habe, Dinge zu ändern, auf die Bahn zu bringen, umzubauen, die habe ich noch nie so gut gehabt wie jetzt. Ich nütze das auch und dabei geht es mir nicht um mein Denkmal, meine Börsenwerte oder was weiß ich, was die anderen so veranstalten. Ich möchte an meiner Arbeit dranbleiben. Die Kreativität ist ein Weg, sich der Krankheit zu verweigern.

Als Ihre Erkrankung bekannt wurde, haben Sie verboten, dass darüber berichtet wird, es wurde sogar mit Geldstrafen gedroht. Jetzt reden Sie in allen Medien darüber. Was ist dazwischen passiert?

Schlingensief: Ich habe vom Verbot erst nach meiner Operation erfahren, das hat meine Freundin veranlasst, weil sie damit nicht klarkam, dass am Gang die „Bild“-Zeitung herumlief und der „Spiegel“ beim Arzt anrief, wie die Operation verlaufen ist. Ich habe das dann auch für gut empfunden. Ich will über die Informationen selber entscheiden.

Ihre Ausstellung in Innsbruck vor einem Jahr hatte etwas unheimlich Prophetisches, ein an Ihre Drehbühnen erinnernder Rundweg, der von ihrem Besuch in Nepal erzählte, von Krankenhäusern, vom Sterben. Wie erklären Sie sich diese Vorahnung?

Schlingensief: Ich habe damals in Nepal ins Gästebuch eines Kinderheims geschrieben: „Auf dass die kreisenden Gedanken wieder einen Grund finden.“ Damals habe ich gemerkt, dass es das nicht sein kann, dauernd herumgereicht zu werden, dauernd diese Kunstnummern zu machen. Dann kam der Schlag, ich kam zurück und habe das Ergebnis der Untersuchung bekommen. Das alles hat für mich Bedeutung, hat für mich eine Dramaturgie, ist kein Zufall, sondern eine Geschichte, die ich schreibe. Diese wahrzunehmen hatte ich immer schon in mir, jetzt nehme ich sie nur ein bisschen genauer wahr. Das Gästebuch wollte ich aber nicht in der Ausstellung haben, das fand ich im Kunstkontext totalen Schwachsinn, so wie Sophie Calle ihre sterbende Mutter filmte. Wobei ich das jetzt eher verstehen kann.

Wo ist für Sie die Grenze zwischen Kunst und Leben? Es gibt darüber immer wieder Diskussionen, der Künstler Gregor Schneider etwa hat überlegt, einen Sterbenden auszustellen.

Schlingensief: Davon halte ich gar nichts. Was bildet sich der Künstler denn ein, dass er hier tut? Ich habe so etwas schon einmal bei „Talk 2000“ (TV-Talkshow Schlingensiefs 1997, Anm.) gemacht, da habe ich in der Sendung einmal umgeschaltet zu der Geburt eines Kalbes und dann zu einem Krankenhaus, zu einem Mann, der stirbt.

Ist er wirklich gestorben?

Schlingensief: Nein. Ich finde das zu offensichtlich. Mich interessiert viel mehr dieser Hamburger, der Sterbehilfe praktiziert und das im Internet zeigt. Hier wird etwas getan für jemanden, der Schmerzen hat und nicht mehr will. Vorausgesetzt, es geht nicht ums Geschäft, sondern um ein Sterben in Würde und ohne Schmerz.

Sie stört also das „l’art pour l’art“?

Schlingensief: Ja, wozu, was soll das? Ich kann da nicht mit.

Welche „Mea Culpa“ meinen Sie eigentlich beim Titel Ihrer Oper?

Schlingensief: Es klingt ironisch, aber eigentlich beschreibt es diesen peinlichen Moment, wo man sich als Kranker peinlich fühlt. Oder wo sich der Gesunde gegenüber dem Kranken peinlich fühlt. Eine Schuld ohne Berechtigung. Wenn ich etwa die Treppe hochlaufe, meine Assistentin doppelt so schnell ist, dann stehen bleibt und sich entschuldigt. Und ich das überhaupt nicht registriert habe. Dann wird es für uns beide peinlich. Wie soll man sich da verhalten?

Wie hat sich Ihre Arbeit zuletzt verändert?

Schlingensief: Es ist gut, dass ich jetzt am Regiepult sitze und nicht mehr herumspringe und herumhaste. Das muss ich erst einmal lernen, aber der Körper hat daran Gefallen gefunden. Ich mag es, wie ich anders mit der Sprache umgehe, mit dem Laut und Leise. Ich mag es, wie ich mit der Musik umgehe, das wird immer stärker, weil ich die Welt jetzt immer mehr als Konzert erlebe. Ich habe etwa Freunde verloren, weil ich ihre Sprache akustisch nicht mehr aushielt.

Auch im Burgtheater wird es eine Drehbühne geben, wie schon 2006 bei Ihrer Animatografen-Installation hier, nur eben nicht mehr begehbar für das Publikum. Ist dieser Rückzug auf die Bühne ein Zeichen der Distanz?

Schlingensief: Es ist hier so, wie es ist. Eine Installation wäre mir jetzt aber auch zu viel. Ich mag es momentan, am Regiepult zu sitzen. Es ist ein großes Bild … Ich bin eigentlich auf dem Weg zum Film.

Also wieder stärker zu dem Medium zurück, mit dem Sie angefangen haben. Was bedeutet der Zusatz „Eine Ready-Made-Oper“? Meinen Sie mit „Ready-Made“ Ihre Biografie, die in anderem Umfeld, auf der Bühne, zur Kunst wird?

Schlingensief: Das kommt noch von Bayreuth, vom Pissoir, das wollte Wolfgang Wagner unbedingt raushaben. Duchamps Pissoir hat er nicht verstanden. Wäre es auf dem Kopf gestanden, hätte er es vielleicht noch akzeptiert. Aber in der Erinnerung hier an der Burg bildet sich das eigentlich Individuelle wieder sehr alltäglich ab. Wenn da eine 82-jährige Opernsängerin den Liebestod singt, dann ist das höchste Kunst und größte Trauer, größtes Glück, gerade weil sie anders klingt als Waltraud Meier. Sowohl meine Texte als auch die Texte anderer zeigen plötzlich, wie unterschiedlich diese Realität für jeden dasteht. Darum lese und höre ich auch gerne von anderen. Vieles ist gleich, ein Abbild der Realität, und doch ganz anders. Die Wahrheit.

Ein großes Wort. Was kann dem noch folgen?

Schlingensief: Ich suche Leute, die mir helfen, meine Idee von einem Festspielhaus in Afrika zu realisieren. Ein lang erdachter Traum einer Austauschstation zwischen uns und dem afrikanischen Kontinent. Ein Ort mit Probebühnen, Pension, Restaurant, Krankenhaus und Schule. Dort zu leben und zu arbeiten, jungen Leuten die Möglichkeit zu geben, dass sie Afrika auch länger kennenlernen und diesen kulturellen Reichtum kennenlernen, das ist mein größter Traum. Das lässt mich am Leben!

18.03.2009, ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)