TREM FANTASMA BEgeisterT SAO PAULO (GUIA DA FOLHA)

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Von Maria Eugênia de Menezes

Das Einreißen der Grenzen zwischen Volkskunst und Hochkunst und die Überlagerung von Gattungen wie Kino, Musik, Zirkus und Theater im selben Werk gilt schon nicht mehr als Neuheit, sie ist das Markenzeichen eines Großteils der Künstler geworden. Beim deutschen Künstler Christoph Schlingensief jedoch beeindruckt die Radikalität seiner hybriden Installation. Im SESC Belenzinho drehte gestern Abend seine Installation „Trem Fantasma“ (Geisterbahn) seine letzten Runden. Es war zweifellos die große Attraktion der Mostra SESC de Artes 2007 und gleichzeitig ihr unangefochtener Publikumsmagnet. Die Opernwelt von Richard Wagner wird hier neu erschaffen. Wagner war einer der Vorreiter der Synthese und verteidigte das Gesamtkunstwerk, wobei ihm Schlingensief hier nun das bislang ungewöhnlichste, aber auch sehr sympathische Gesicht eines Vergnügungsparks verliehen hat.

In derselben Halle (1200 qm), die kürzlich das Théâtre du Soleil beherbergte, fuhr das Publikum in einer Bahn auf Schienen durch verschiedene Bühnenbilder und Drehbühnen, während parallel dazu eine ausgesprochen inspirierende Version des “Fliegenden Holländers” aufgeführt wurde. Außer der Oper, welche die Geschichte des von Gott für seine Blasphemie bestraften holländischen Seefahrers, erzählt, stellten 20 Sänger und 50 Schauspieler Teile der Stücke “Parsifal”, “Tristan und Isolde” und “Lohengrin” dar. Für den überwiegenden Teil der Besucher war es die erste Berührung mit der oft als zu elitär kritisierten Opernwelt. Am Ende der Geisterbahnfahrt herrschte einhellige Begeisterung, die sich von hier aus auf das ganze Festival übertrug.

“In Deutschland gibt es keinen Raum für eine Arbeit wie diese, die Vorstellung von Kultur ist sehr materialistisch”, stellte Schlingensief während der Vorbereitungszeit fest. “Ich denke, diese Mischung, die ich betreibe, ist dem, was man in Brasilien Antropophagie nennt, sehr nahe.” Nachdem man an einem Kochtopf vorbeikommt, in dem Hans Staden, deutscher Landsknecht im Dienste portugiesischer Siedler von menschenfressenden Indianern gekocht wird, kam das Publikum in den einer Folterkammer ähnlichen Raum mit Fotografien von zerteilten Körpern und Gießharzpuppen. Währenddessen wurden Dutzende vom Regisseur selbst gedrehte Filme (davon einige in Manaus gefilmt) gezeigt. Über 120 Sänger und Darsteller aus Sao Paulo spielten 10 Tage rund um die Uhr! “Ich möchte, dass sich das Publikum die Vorstellung nicht nur ansieht, ich möchte die Leute in die Oper mit hinein nehmen”, resümierte Schlingensief.

Guia da Folha da São Paulo, 4.12.07