TOD UND TRAUM IM FILM (MÜNCHNER MERKUR)

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Münchner Haus der Kunst: Christoph Schlingensiefs „18 Bilder pro Sekunde”

Das ist seit langem seine beste Arbeit – auf alle Fälle im Bereich Bildende Kunst. Die große Installation „18 Bilder pro Sekunde”, die extra für die Foyerhalle des Münchner Hauses der Kunst entstanden ist, überrascht höchst angenehm (Kuratorin Stephanie Rosenthal).

Christoph Schlingensief (Jahrgang 1960), dessen spektakuläre Inszenierung von Richard Wagners Oper „Der fliegende Holländer” für Manaus gerade durch die Medien geisterte, hat sich auf den Film besonnen. „Immer wieder kommt es vor, dass man mich mit dem Theaterregisseur verwechselt. Ich komme aber vom Film, nicht vom Theater.” Na ja, der Künstler wurde nicht ungern verwechselt. Und seit längerem arbeitet er daran, dass man ihn mit einem Bildenden Künstler verwechselt. Die höheren Weihen etwa durch die Biennale von Venedig oder diverse Museen wurden ihm da nicht verweigert. In den letzten beiden Jahren schloss er sich bei seiner Installation des „Animatographen” (Reykjavik) samt Weiterentwicklung bis zu „Chickenballs – Der Hodenpark” (Salzburg) dem Vermüllungs-Stil eines John Bock oder Jonathan Meese an. Was auch das Bayreuther Bühnenbild für den „Parsifal” (2004) zum Kollaps brachte.

Nichts davon im Haus der Kunst. Und doch ist sich Schlingensief treu geblieben. Assoziationen sind Zentrum und Medium seiner Ausdruckskraft. Aber er diszipliniert sich nun. Vermeidet die Überfülle, denn da löscht ein Reiz den anderen aus. Zunächst setzt er einen einzigen mächtigen Reiz: das Letzte Abendmahl – das Symbol der Eucharistie, der innigen Verbindung zwischen Gott und Mensch. Zwölf Persönlichkeiten – und Mohammed – zwischen Leben, Tod und ewigem Leben. Was die europäische Kunstgeschichte zu grandiosen Leistungen inspirierte, übernimmt Schlingensief aus der brasilianischen Volksfrömmigkeit (Karnevalswagen). Die mächtigen Styropor-Apostel an der Hufeisen-Tafel sind lediglich durch eine unterschiedlich intensive braune Sprüh-Konturierung modelliert. Trotz naiver, ungelenker Gestaltung strahlen sie Würde aus.

Ihr in Treppen ansteigendes Podest ist von ebenfalls künstlichen Arkaden, sechs Holzhüttchen und einem primitiven Bauzaun umgeben. In diesen ersten „Behältnissen” erzählt der Künstler vom Handwerk des Produzierens – vom Filmkleber bis zum Elektrokasten, vom gemalten Familienbildnis bis zu alten Fotos. Auch ein unzugängliches Kämmerchen gibt es. Das Provisorische, Baustellenhafte der Szene unterstreicht, dass Arbeit und Kunst unaufhörliche Prozesse sind.

Dazu gehören auch die Filme im Sockel der Abendmahl-Gruppe. In dieser Quasi-Krypta ist eine Doppelreihe zwölf alter Projektoren aufgestellt. Die Streifen laufen sicht- und hörbar mal in einer kurzen Schleife, mal in vielen Windungen. Auch hier ist bereits die Materialität ästhetischer Genuss. Altertümlich wirken ebenfalls die Flimmerbilder, die zum Teil übereinanderprojiziert sind. Tanz und Tod sind Themen, der Fluss, der Leben spendet und nimmt, die Indianer und die Zugezogenen. Und natürlich Schlingensiefs Phantasmagorien, etwa die Paradiesvogel-Sambatänzerinnen im Schummerlicht des Regenwalds. Verwaschene, einander überlagernde und bald durch das Film-Abspulen mehr und mehr kaputtgehende, durch Schwarzfilm ersetzte Erinnerungsbilder an Brasilien erzählen Bruchstück-Geschichten. Jeder Betrachter wird sie zu stets neuen Dramen zusammenfügen.

Noch mehr auf das Prinzip Simultanität pocht die Rückwand der Krypta. 18 Flachbildschirme zeigen den ungeschnittenen Film-Rohstoff von „African Twin Towers” (Lüderitz, Namibia) – und wie optische Vermüllung nerven kann.

* Bis 16. September, Tel. 089/ 21 12 71 13, www.hausderkunst.de.

Simone Dattenberger