MANAUS TANZT DEN WAGNER (DPA)

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„Der fliegende Holländer“ auf brasilianisch: Schlingensief inszenierte Wagners frühes Werk im Opernhaus von Manaus

Bei der Uraufführung 1843 in Dresden hat das Publikum die romantische Oper mit wenig Begeisterung aufgenommen; sie wurde nach nur vier Aufführungen abgesetzt. Regisseur Christoph Schlingensief hat das Stück jetzt neu inszeniert – mit brasilianischem Temperament.

Am Amazonas lässt der verfluchte Holländer alle Hoffnung fahren und meuchelt seine Tochter, die doch so gerne treu gewesen wäre, mit der Machete. Richard Wagner, Samba, und die archaische Götterwelt Brasiliens treffen bei Christoph Schlingensiefs Inszenierung von Wagners romantischem Frühwerk „Der fliegende Holländer“ (1843) aufeinander, das als „O Navio Fantasma“ (Das Geisterschiff) im Opernhaus von Manaus Premiere hatte. Es war Schlingensiefs zweite Wagner-Inszenierung nach seinem spektakulären Bayreuth-Debüt 2004 mit Wagners Spätwerk „Parsifal“.

Wagner am Amazonas

Es gab viel Beifall in Brasilien für das internationale Sängerensemble und die Musiker unter der Leitung von Luiz Fernando Malheiro. Der Regisseur musste allerdings auch einige „Miniproteste“ hinnehmen, wie er es später selber nannte. Doch diese seien „von deutschen Wagnerianer mit ihrem Reinheitsgebot“ gekommen, „die meinen, dass Wagner mit Samba nichts zu tun hat“. Auch seine Filmeinspielungen zum Beispiel aus Pasolinis „Die 120 Tage von Sodom“ (1975) irritierten einige Zuschauer. „Eine Gesellschaft befriedigt sich selbst und zerstört das Glück des anderen“, meinte Schlingensief dazu.

Erste Kritiker wie in der ARD-Sendung „titel thesen temperamente“ meinten zur Manaus-Premiere, Schlingensief habe „mit diesem skurrilen, barocken Unternehmen ein kleines Wunder bewirkt – Manaus tanzt den Wagner“. In Bayreuth habe er „ein Stahlgewitter erlebt, in Manaus aber ist mein Herz berührt worden“, sagte Schlingensief am Montag der dpa.

Auf der Suche nach Erlösung

Das „Weib der Zukunft“ und ihr Zusammenprall mit der von Ehrgeiz und Unruhe getriebenen Männerwelt ist für Schlingensief der „klassische Fall“ für die vergebliche Suche unserer Gesellschaft nach Erlösung. Daland tritt in seiner Version als Kolonialherr, Mädchenhändler und Sektenführer auf, „mit der ganzen Perversion der Europäer, die mal ein bisschen Spaß haben wollen“, wie der Regisseur erläutert. Senta will die ganze Welt und den Holländer retten, der selber nicht weiß, woher und wohin und verschwindet am Ende in einer Art „Kokonkapsel“, in eine „Stille der Verpuppung“ (Schlingensief). Es seien alles Schizophrene, sagt Schlingensief. „Jemand, der alle sieben Jahre zurückkommt um erlöst zu werden, der kann ja eigentlich nicht ganz dicht sein.“

Der 46-jährige Berliner Regisseur arbeitete zwei Monate lang bei nahezu unerträglichen, tropischen Temperaturen. Außerdem belasteten ihn private Sorgen schwer: Sein Vater starb vor kurzem, seine Mutter erkrankte während seiner Arbeit in Manaus ernsthaft. Dennoch ist für ihn im brasilianischen Regenwald ein persönlicher Traum in Erfüllung gegangen: „Das ist ein handgreiflicher Wagner, der lange überfällig war.“ Die in Brasilien entstandenen Filmaufnahmen, unter anderem mit dem Orchester im Regenwald, will er demnächst im Münchner Haus der Kunst zeigen.

Die Furcht vorm Vaterland

Aber er hat fast Angst, wieder nach Deutschland zurückzukehren. „Ich arbeite gerne im Ausland, fern von aller Kleingeisterei in Deutschland.“ Allerdings hätten sich auch Landsleute gemeldet, wie zum Beispiel die Intendantin der Deutschen Oper Berlin, Kirsten Harms, die in Manaus ein kritisches Auge auf die Arbeit Schlingensiefs warf. „Ich habe keine Lust mehr, immer nur am Prenzlauer Berg oder an der Volksbühne vor lauter Leuten, die ich kenne, herumzutoben. Und außerdem ist toben auch gar nicht mein Ding“, sagte der 46-Jährige.

DPA vom 22.04.2007 – Wilfried Mommert