IN AFRIKA ENTSTEHT EIN OPERNDORF (DAPD)

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Etwas versteckt zwischen vier Männern sitzt Christoph Schlingensiefs Witwe, Aino Laberenz, vor einer großen Leinwand mit der Aufschrift „Operndorf Afrika“ und blickt schüchtern in die Runde. Mit brüchiger Stimme beginnt sie von dem Projekt ihres an Lungenkrebs gestorbenen Mannes zu erzählen. Kaum vorstellbar, dass die zarte, etwas zerbrechlich wirkende Frau neben der Trauer auch noch das große Projekt zu tragen hat, von dem Schlingensief sagte, es sei sein wichtigstes.

2008 hatte der Film- und Theaterregisseur das Langzeitprojekt ins Leben gerufen. Einen Ort des kulturellen Austauschs zu schaffen und „von Afrika lernen“, war sein großer Lebenstraum, dessen Realisierung er nicht mehr erleben durfte. Seit seinem Tod im August 2010 wird das Projekt von Aino Laberenz fortgesetzt. Bei den dritten Lessingtagen des Hamburger Thalia Theaters sprach sie am Donnerstag mit Aktionskünstler John Bock, Kunstsammler Harald Falckenberg, Intendant Matthias Lilienthal und Moderator Wolfgang Höbel über Schlingensiefs Vermächtnis.
„Keine unmögliche Idee, die nur des Profites wegen entstehen soll, sondern die Idee, Afrika offiziell beklauen“, so hatte es Schlingensief provokant formuliert. „Kein goethereisender Kunstschnösel, der den Afros mal zeigt, was deutsche Kultur so alles kann.“ Statt die deutsche Oper nach Afrika zu bringen, wollte Schlingensief den Opernbegriff von seinem Sockel stürzen. In Anlehnung an Beuys, die westliche Vorstellung von einem Kunstwerk auf den Kopf stellen, um der Kunst Leben einzuhauchen.

„Die Grundidee war unser Bild von Afrika zu ändern. Das Bild, das wir uns machen, in dem Afrika immer arm ist und wir immer helfen müssen“, erklärt Laberenz. Auch wenn Burkina Faso das ärmste Land Afrikas sei, habe es doch eine reiche Kultur, die uns viel zu bieten habe. All unsere Afrika-Bilder seien von uns gemacht und daher trügerisch. In der Schule des Operndorfes, die neben regulären Fächern auch Film-, Kunst- und Musikunterricht anbietet, sollen die Kinder lernen, uns ihre eigenen Geschichten zu erzählen. Dort fange die Oper schon an.
Was aus dem Dorf einmal werden soll, ob am Ende afrikanische Künstler Wagners Opern aufführen, oder das Dorf zu einer Auftankstation für europäische Künstler werde, davon wolle sich die 30-Jährige lösen. „Das sollen die Afrikaner selbst entscheiden, ohne jegliche Erwartungshaltung.“ Die Menschen einbeziehen, Materialien von dort beschaffen und mitbestimmen lassen, darin liege der Unterschied zur Entwicklungshilfe. „Das Ding wird wachsen und wir dürfen zusehen, aber nicht mitreden“, hatte Schlingensief gesagt und gefordert: „Macht mit unserem Geld, was ihr wollt.“

Schlingensiefs Idee schwebt über allem. Während die Herren der Diskussionsrunde diskutieren, was Schliengensief eigentlich gemeint hatte, ist Laberenz schon längst in der Realität angekommen. Das Operndorf nahe der Hauptstadt Ouagadougou nimmt mittlerweile Formen an. Der erste Bauabschnitt mit der Schule ist fertig, im Oktober 2011 wurde die Eröffnung gefeiert und sobald wie möglich geht es mit dem zweiten Bauabschnitt weiter. Nur das Geld fehlt noch, etwa eine halbe Million Euro.

Ein Krankenhaus soll gebaut werden. „Das Wort Oper kenne ich nicht, aber operieren, das brauchen wir hier“, habe eine afrikanische Frau einmal zu Schlingensief gesagt. Mit dem dritten Bauabschnitt werde dann die Oper als Herz des Dorfes entstehen. So frei die Idee vom Operndorf ursprünglich auch gedacht war, jetzt gehe es auch darum Verantwortung für das Projekt zu übernehmen, für die Menschen, die daran beteiligt sind.

dapd, 3.5.2012