STERBEN LERNEN (HERR ANDERSEN STIRBT IN 60 MIN.)

Veröffentlicht am Autor admin

Eine Versuchsanordnung von Christoph Schlingensief und Freunden in Koproduktion mit dem Schauspielhaus Zürich, am 4./6./8. Dezember 2009

Christoph Schlingensief plant mit Freunden und in partieller unmittelbarer Kooperation mit René Polleschs „Calvinismus Klein“-Uraufführung eine Versuchsanordnung respektive eine „temporäre Leichenhalle“ zum Thema „Sterben lernen“, einer Kunst, die eigentlich jeder Lebende beherrschen müsste, die aber in der Schule nicht unterrichtet wird. Wie gehe ich damit um, wenn es bei mir soweit ist? Welche Gebrauchsanweisungen und Rituale, welche Rechtfertigungen und Erklärungen bietet unsere Kultur an? Bietet sie überhaupt welche an, oder geht es grundsätzlich immer nur um den Umgang mit dem Sterben der Anderen? Haben wir da einen blinden Fleck? Näheres demnächst unter www.temporaere-leichenhalle.ch.

Der Weisheit des Silen, dem Begleiter des Dionysos, dass es das Beste für den Menschen sei, nie geboren zu sein, das Zweitbeste aber, bald zu sterben, wird in Nietzsches „Die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik“ die „apollinische“ Einstellung der Menschen Homers gegenübergestellt: „Das Allerschlimmste ist, bald zu sterben, das Zweitschlimmste aber, überhaupt zu sterben“. In diesem Gegensatz bewegt sich bis heute die Auseinandersetzung mit dem Tod; die dionysische Todesverfallenheit im Rausch und in der Musik auf der einen und der apollinische unbedingte Wille zum Dasein, „zum Weiterleben und sei es als Tagelöhner“ auf der anderen Seite. Das Sterben ist dabei grundsätzlich das Sterben der Anderen. Der Umgang mit dem eigenen Ende wird kaum je reflektiert. Dazu passt die katholische Vorstellung, das Sterben habe „still, lautlos, wortlos und handlungslos“ zu sein. Der Sterbende soll sich off enbar schon bevor er tot ist als Subjekt verabschieden. Müssen wir wirklich, wenn es uns „erwischt“, die Kommunikation mit anderen aufgeben und den Weg allein gehen?

Das zweite Brainstorming (nach „Zwischenstand der Dinge“) über letzte Fragen und Dinge des an Krebs erkrankten Regisseurs Christoph Schlingensief findet im Theater Neumarkt statt. Sich selbst als potentiell Sterbenden zu akzeptieren und selbstbestimmt mit dem umzugehen, was man nicht bestimmen kann, ist das Ziel. Das erwähnte Buch von Nietzsche, Brechts Lehrstück vom Einverständnis, Terence McKennas Theorie des „Hyperspace“ und der Seelenwanderung und Boris Groys Vorstellung von der Unsterblichkeit des Körpers und der Kollektivierung des Todes – diese Konzepte sollen auf ihre Kraft hin, dem Sterben und dem Tod jenseits religiöser Heilsversprechen ihren „Stachel“ zu nehmen, untersucht und zum Gegenstand öffentlicher Auseinandersetzung werden.

Am 4. / 6. und 8. Dezember im Rahmen der Aufführung „Calvinismus Klein“ im Pfauen, Zürich

sowie im Theater Neumarkt, Zürich

Theater Neumarkt
Neumarkt 5
CH 8001 Zürich

T: +41 (0)44 267 64 65
F: +41 (0)44 252 24 39
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